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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Kaiserlichen Hoheiten sowie Eure Durchlaucht (damit meinte er den Favoriten, Vater hatte ihm eingeschärft, ihn ja nicht zu vergessen) als Belohnung für die gute Absicht meine Verbeugung mit Händeklatschen beantworten wollten.«

DRITTES KAPITEL
    DER TOD DES IWAN ILJITSCH
    (Tolstoj, 1886)
    Nachdem er sich höflich von dem glatzköpfigen Bruder der Sekretärin Fandorins verabschiedet hatte, wobei dieser sich mit einer Pinzette an der – wie bei seiner Schwester violetten – Braue zupfte und den Fortgehenden noch nicht einmal anschaute, verließ der Korrespondent, in tiefes Nachdenken versunken, das Office 13 a.
    Er drückte auf den Knopf, um den Lift zu holen, brauchte aber einige Zeit, um zu verstehen, dass der Fahrstuhl nicht kommen würde. Während der Korrespondent im »Land der Räte« gewesen war, hatte der quietschende Aufzug seinen Geist aufgegeben. Offenbar musste er sich heute damit abfinden, dass er mal zu Fuß die Treppen hoch-, mal runtergehen musste. Na gut, vom fünften Stock hinuntergehen, das ist nicht die Welt; da brichst du dir schon nicht die Beine.
    Der Korrespondent schritt Richtung Fenster und blinzelte: Durch die staubigen Scheiben schien die Sonne, für November war das Wetter ungewöhnlich klar und warm.
    Miss siebenmal, bevor du einmal schneidest, murmelte er vor sich hin. Das sollte ihm eine Lehre sein, eine wichtige Lehre für die Zukunft. Damit er nicht Gefahr liefe, gleich unkontrolliert zuzuschlagen. Alles sprach zunächst dafür, dass Fandorin ein Scheusal und Lügner war, aber wenn man ihn aus der Nähe betrachtete und ihm in die Augen schaute, war er ein normaler Mensch. Wenn du ein solches Vertrauen genießt, wenn du eine solche Macht hast, musst du verantwortungsvoll damit umgehen, du darfst nicht formalistisch sein. Sie prüfen das ja dort nicht mehr, das geht zack zack. Sonst müssen noch unschuldige Kinder daran glauben, wie damals in dem Mercedes. Auch in Sodom und Gomorrha hat es ja kleine Kinder gegeben, die mit den Gemeinheiten der Erwachsenen nichts zu tun hatten, und doch hatte Gott auch auf diese Schwefel und Feuer regnen lassen, genauso, ohne Differenzierung. Und wer ist daran schuld? Nicht Gott, sondern Lot. Er, der von Gott Bevollmächtigte, hätte an die Kinder denken und die Obrigkeit daran erinnern müssen. Er war ja ebenfalls so etwas Ähnliches wie ein Korrespondent. Das ist keine Kleinigkeit. Bevor jemand zum ersten Mal auf eine lange Reise geschickt wurde, hatte man ihn x-mal in der Redaktion geprüft, überprüft und instruiert! Denn er sollte begreifen: ein Korrespondent, das sind die Augen und Ohren der Zeitung, und zwar nicht irgendeiner, sondern der wichtigsten Zeitung des wichtigsten Landes. Und dabei hatte es sich ja nur um eine Zeitung gehandelt, während es hier um eine sehr viel höhere Instanz ging.
    Man darf sich nicht zu viel einbilden, man darf sich nicht über die Menschen erheben, sagte der Korrespondent streng zu sich selbst. Das Urteil musste so schnell wie möglich aufgehoben werden. Soll er doch leben, wenn er halbwegs anständig ist.
    Auf dem Treppenabsatz des vierten Stocks hockten ein paar Penner. Zwei saßen auf dem Fensterbrett (eine Pulle Fusel, harte Eier, ein angeknabbertes Weißbrot zierten ein Zeitungsblatt), ein Dritter war schon weggetreten – er lag mit gespreizten Beinen quer zur Treppe. Die Augen waren geschlossen, aus dem Mund hing ihm ein Spuckefaden, an der Wange klebte eine Eierschale.
    Nie im Leben ist der Magister und Präsident ein kapitalistischer Hai, dachte der Korrespondent. Das Büro hat keine Mordsrenovierung hinter sich, der Aufzug ist kaputt, und im Treppenhaus hocken Penner und saufen.
    »Ein Hoch auf die demokratischen Reformen«, sagte er laut und zwinkerte den armen Teufeln zu. »Hab ich Recht, Jungs?«
    Der auf dem Boden Liegende reagierte in keiner Weise auf seine Worte. Der eine Sitzende, ein Rothaariger und, wenn man ihn genauer betrachtete, noch ganz Junger sagte mit vollem Mund:
    »Was willst du denn? Wenn wir mit dem Essen fertig sind, verschwinden wir. Wen stören wir hier denn?«
    Der andere Sitzende schniefte durch seine verquollene platte Nase und zog das Weißbrot dichter zu sich.
    Ach, diese armen Penner. Das sind die Sägespäne, die von den Äxten der kapitalistischen Holzfäller fallen.
    »Ist mir doch egal. Meinetwegen könnt ihr hier bleiben«, sagte der Korrespondent und winkte ab.
    Man müsste sich erkundigen, was sie zu einem solchen Leben geführt hat. Bestimmt war jedem von ihnen

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