Der Favorit der Zarin
für seine schöne Tochter keinen Würdigen finden kann und sieht, wie das Mädchen allmählich versauert. Ein vierjähriger oder ein fast siebenjähriger Schachspieler, das war ein großer Unterschied.
Mitja machte das nichts, er konnte warten. Er hätte immer so weiterleben mögen: mit seinen Büchern und dem Unterricht. Nur Vater tat ihm Leid.
Wie viele Mühen und Hoffnungen er darauf gesetzt, wie viele Hindernisse er überwunden hatte, und sie wollte ihn noch nicht einmal sehen! Wegen Vaters jämmerlichen Aussehens, seiner einschnürend engen Weste, seines unter den speckigen Haaren juckenden Kopfes (und wehe, du kratzt mit den Fingernägeln, das ist strengstens untersagt) war Mitja wütend auf die dicke Alte und machte ein mürrisches Gesicht. Wenn die Augen Hitze ausstrahlen könnten, so wie die Sonne ihre Strahlen zu uns schickt, würde er dieses undankbare Weib versengen, würde ihre aufgebauschte Puderfrisur in Brand stecken!
Ob es nun Wärme war oder etwas anderes, Mitjas Blick musste irgendeine Substanz ausstrahlen, denn die Kaiserin, die sich über den Zank des Griechen mit dem Engländer noch nicht ausgelacht hatte, drehte plötzlich den Kopf und betrachtete den kleinen Menschen in der himmelblauen Kavallerieuniform ein drittes Mal. Da zahlte Mitja dieser launischen Zicke gleich für alles auf einmal heim: Er schnitt eine beleidigende Grimasse und streckte ihr die Zunge heraus. Da hast du’s, ätsch!
Die Augen der Semiramis weiteten sich erstaunt – offenbar hatte ihr in dem Palast noch nie jemand die Zunge herausgestreckt.
»Was habt Ihr noch einmal gesagt, wie alt ist Euer Kleiner?«, fragte sie Vater.
»Sechs, Eure Kaiserliche Majestät!«, schrie Alexej Woinowitsch begeistert. »Ich habe das Gemeinderegister mitgenommen, Ihr könnt Euch davon persönlich überzeugen!«
Der rosige Finger lockte Mitja zu sich.
»Na, sag mir mal. . .«
Sie wollte ihn beim Namen nennen, hatte ihn aber vergessen. Vater hauchte zuckersüß: »Mithridates.«
»Sag mir mal, Mithridates . . .«
Sie brauchte etwas Zeit, um eine Frage zu stellen. An dem freundlichen Lächeln sah man, dass sie eine möglichst leichte Frage stellen wollte.
»Was haben wir jetzt für ein Jahr?«
»Nach welcher Zeitrechnung?«, fragte Mitja schnell und rückte näher an die Alte heran (sie roch nach Lavendel, Puder und etwas Würzigem, Muskatähnlichem). Ohne die Antwort abzuwarten, kam es wie aus der Pistole geschossen: »Nach den griechischen Chronisten: das Jahr 7303 seit der Erschaffung der Welt, nach den römischen Chronisten: das Jahr 5744, nach den griechischen Chronisten: das Jahr 5061 seit der Sintflut, nach den römischen: das Jahr 4088, seit Christi Geburt: das Jahr 1795, seit Mohammeds Flucht: das Jahr 648, seit der Gründung Moskaus: das Jahr 453, seit der Entdeckung Amerikas: das Jahr 303 und seit der Thronbesteigung Katharinas der Zweiten: das Jahr 33.«
Die Kaiserin klatschte begeistert in die Hände, und sofort fingen alle an zu flüstern und mit der Zunge zu schnalzen. Dann lief alles wie geschmiert.
Mitja multiplizierte eine Weile dreistellige Zahlen (der Favorit überprüfte die Aufgaben höchstpersönlich auf seiner Serviette: Es stimmte); dann zog er die Quadratwurzel aus 79 566 (nachprüfen konnte das nur der Enkel, und auch der nur beim dritten Anlauf, weil er sich dauernd vertat); er zählte alle russischen Provinzen auf, und auf Nachfrage nannte er sogar die jeweiligen Kreisstädte. Er siegte im Schachspiel gegen den Oberstallmeister Kukuschkin (das schaffte er in vier Zügen) und den schwarzen Alten, der sich als Geheimrat Maslow und Chef der Geheimexpedition entpuppte (er spielte ordentlich, aber gegen Mithridates war nun einmal nicht anzukommen), und maß sich am Schluss sogar mit der Kaiserin. Dabei geriet er etwas in Fahrt, vergaß, dass Vater ihn gelehrt hatte, Ihrer Majestät nachzugeben, und zerschlug das weiße Heer bis auf den letzten Mann. Aber Katharina machte sich nichts daraus; sie war nicht beleidigt, küsste Mitja sogar auf beide Wangen und nannte ihn »Liebster« und »Neunmalkluger«.
Er trug Dershawins Gedicht »Feliza« vor, dumme, aber schön schwülstige Verse, und sagte am Ende dieser triumphalen Vorstellung mit einer tiefen Verbeugung: »Ich wiege mich in der Hoffnung, dass ich mit diesen bescheidenen Kunststücken die große Kaiserin von der Last der Sorgen um den Staat habe ablenken können. Ich werde es als größtes Glück erachten, so Eure Kaiserliche Majestät und Eure
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