Der Favorit der Zarin
Sie die Situation ja richtig einzuschätzen wissen. Diese Runde haben Sie verloren, wir pressen die Information in jedem Fall aus Ihnen heraus. Sie wissen, die technischen Mittel dazu haben wir, es ist nur eine Frage der Zeit. Wollen Sie nun also reden?«
Der Korrespondent nickte wieder.
»Sie sind ja ein richtiges Goldstück«, sagte der Eiermann höhnisch, »Also, Ihre offizielle Biographie brauchen Sie uns nicht zu erzählen, die kennen wir. Erzählen Sie uns mal lieber, verehrter Iwan Iljitsch Schibjakin, Geburtsjahr 1948, wie sich die Linie Ihres Schicksals herausbildete, die dem bloßen Auge verborgen ist. Ich frage, Sie antworten. Exakt, vollständig, ehrlich. Ich verstehe es, Versuche, mich irrezuführen, an kleinsten Kontraktionen der Pupille abzulesen. Im Zweifelsfall bekommen Sie eine Dosis. So. Erste Frage. In welcher Institution haben Sie Ihre Spezialausbildung genossen? Beim Nachrichtendienst?«
Der Korrespondent nickte zum dritten Mal.
»Hervorragend. Ich sehe, wir kommen miteinander klar.« Der Eiermann zog ihm das Pflaster vom Mund. »Zweite Frage. Wie viele seid ihr?«
Kaum war sein Mund den klebrigen Film los, da schlug der Korrespondent, ohne auch nur einen Augenblick zu verlieren, die Zähne in den Finger seines Peinigers. Er biss sich fest, was das Zeug hielt. Er spürte etwas Salziges auf der Zunge. Er wollte ihn durchbeißen, aber der Eiermann stieß dem Korrespondenten fluchend mit dem Zeigefinger der anderen Hand unter das Jochbein, dass sein Gesicht auf einmal gefühllos wurde und der Kiefer herunterfiel.
Der Verletzte klebte das Pflaster wieder auf und schüttelte seine blutige Hand.
Der Rothaarige streckte ihm ein Tuch entgegen und sagte:
»Sie hat uns ja gewarnt. Vermutlich ist er kein Profi, sondern ein Überzeugungstäter. So einen kriegst du mit zwei Stößen nicht kirre. Musst du denn unbedingt Gestapo spielen? Wir haben den Auftrag, ihn nach Muchanowka zu bringen; dann lass uns das doch auch tun. Du drängst dich immer vor, willst du dich lieb Kind machen?«
Der Eiermann stülpte das Tuch über den verletzten Finger.
»Wir müssen hier ja auf jeden Fall bis zum Einbruch der Nacht sitzen«, sagte er wütend. »Wir können ihn doch nicht am helllichten Tag über den Hof schleifen. Wir haben keine unbegrenzte Zeit zur Verfügung und müssen mit ihr haushalten. Wir brauchen ja nicht Däumchen zu drehen, sondern können uns nützlich machen. Ich hab schon ganz andere kleingekriegt. Auch Überzeugungstäter. Es kommt auf einen Versuch an. Stimmt’s, Genosse?«
Die letzten Worte waren an den Korrespondenten gerichtet – er beugte sich über das Gesicht des Gefangenen und zwinkerte ihm zu, obwohl seine Augen vor Wut rasten. Er war fuchsteufelswild wegen des Fingers.
Der Korrespondent konnte nichts sagen und zwinkerte ihm deshalb ebenfalls zu. Er hatte nur einen einzigen Gedanken: Die Stunde der Prüfung ist gekommen. Er hatte keinerlei Angst. Ja, er freute sich sogar, denn er wusste, er würde sie bestehen.
Der Rothaarige sagte:
»Wenn du unbedingt willst, können wir ihm doch in Muchanowka die Dosis spritzen, da singt er wie ein Star. Und packt alles aus: wie viele es sind, wer und wo.«
Der Dritte, den der Korrespondent Plattnase getauft hatte, schwieg und hatte die Hände in den Hosentaschen. Die Worte des Rothaarigen machten den Gefangenen nervös. Und wenn sie ihn wirklich mit Drogen voll pumpen würden? Er durfte auf keinen Fall plaudern, niemand durfte das je erfahren.
»Und ob ich will«, beendete der Eiermann die Diskussion. »Und ich lehre diesen bissigen Schweinehund jetzt Mores, ganz ohne Chemie, auf afghanische Art.«
Er bückte sich, ergriff mit einer Hand den Gürtel, mit dem die Knöchel des Korrespondenten gefesselt waren, und riss daran, um den Gefangenen in die Mitte des Speichers zu ziehen.
Der Zug war so stark, dass der alte, an einigen Stellen durchgescheuerte Gürtel riss. Der Eiermann konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten, während der Korrespondent sich hinkniete, dann in die Hocke ging, sich den Händen der Plattnase entwand und, ohne sich aufzurichten, zum Fenster schoss. Er durchstieß mit dem Kopf den vermoderten Fensterrahmen, rutschte kopfüber über das warme, sonnenbeschienene Dach und plumpste ins Dunkle.
Er fiel mit dem Rücken auf den Asphalt. Er empfand keinen Schmerz und hörte keinen Laut, aber Sehfähigkeit und Geruchssinn verlor der Korrespondent nicht sofort. Er atmete krampfhaft die Gerüche des Hofes ein:
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