Der Favorit der Zarin
Feuchtigkeit, Benzin und Karbid. In dem zwischen den Bauten eingeklemmten blauen Rechteck des Himmels schien die Sonne.
Plötzlich sah er sich ganz klar und deutlich als junger Mann, vor fünfundzwanzig Jahren. Neben ihm stand seine Frau. Sie waren gerade eben auf der Insel der Freiheit angekommen, es war ihre erste Auslandsreise, sie gingen auf den Balkon und betrachteten den Ozean, das sonnenüberflutete Havanna: ». . . Siebenhundert Zertifikate brauchen wir für den Lebensunterhalt, fünfhundertfünfzig legen wir zurück, ja, Iwan? Wir sparen, Iwan, und kaufen dann eine Zweizimmerwohnung auf dem Leninprospekt oder der Lyssenkostraße«, flüsterte Ljuba mit glücklicher Stimme. Der Korrespondent hörte zu und lächelte, und um ihn herum war so viel Licht, wie es das in nördlichen Breiten nie gibt.
Plötzlich verlor die Sonne schnell an Helligkeit, der Himmel wurde dunkel, und die Wolken bekamen Ähnlichkeit mit schwarzen Löchern. Das ist das Ende der Welt, dachte Iwan Iljitsch zufrieden. Da habt ihr‘s, ihr Schweinehunde! Ihr werdet für alles zur Verantwortung gezogen werden.
Er zog die Luft ein, hielt mittendrin an, erschlaffte und starb.
VIERTES KAPITEL
AMOR UND PSYCHE
(Apuleius, ca. 170)
»Ach, besser wär ich tot, ich Armer,
Als meine Seelenqual zu längen
Und bittre Zähren ohn Erbarmen
ln diesem Flammenmeer zu sengen«,
brummelte der ungekämmte Herr in dem speckigen Gehrock vor sich hin, schnitt dabei verzweifelt Grimassen und fuchtelte mit der Faust in der Luft herum.
Ein Dichter, der seiner Muse Ruf vernimmt, dachte Mitja ehrfürchtig, trat aber vorsichtshalber einen Schritt zurück aus Angst, der Diener Apollons könnte ihn in seiner lyrischen Ekstase umwerfen; er hatte Riesenpranken und roch auch ungut, nach etwas Saurem und Schweiß.
Unter den zu dieser späten Morgenstunde bei Seiner Durchlaucht dem Fürsten Surow Versammelten war nur der Diener Apollons nachlässig gekleidet und ungepudert, alle anderen waren in Festkleidung erschienen und verströmten Blumenduft und das Aroma deutschen Toilettenwassers.
Wieder mussten sie warten, genauso wie gestern, aber durch Erfahrung klug geworden, verstand Mitja schon, dass das Hofleben größtenteils aus Warten bestand. Allerdings langweilten sich heute nicht nur die Karpows, sondern alle, die gekommen waren, um dem großen Mann ihre Ehrerbietung zu bekunden. Damen gab es kaum, es waren sehr viel mehr Herren gekommen, darunter auch äußerst imposante, einige trugen eine Generalsuniform, andere hatten solche Brillantknöpfe an ihren Westen, dass man für einen jeden von ihnen zwei Dörfer von der Größe Trosts hätte kaufen können. Sie standen stramm, keiner sprach laut, und, wie Mitja bemerkte, verhielten sie sich hier sehr viel steifer als in Gegenwart Ihrer Majestät. Und er erklärte sich dieses seltsame Phänomen auch gleich: Bei dem Donnerstagstreffen der Kaiserin kam es nur darauf an, eingeladen zu sein, das war alles; hier dagegen entschieden sich ganze Schicksale. Das war die wahre Wohnstatt der Macht, diese Zimmer aus weißem Marmor, die an die inneren Zarengemächer stießen.
Es hatten sich ungefähr fünfzig Mann versammelt, nicht weniger; und alle starrten ununterbrochen auf die hohe goldweiße Tür, durch die Platon Alexandrowitsch Surow eintreten würde. Jeden Tag um zehn Uhr ließ sich Seine Durchlaucht die Locken legen und empfing dabei Bittsteller und bedeutende Persönlichkeiten, die nach Petersburg gekommen waren beziehungsweise es verlassen wollten. Jeder Gesandte, selbst der einer der ersten europäischen Mächte, wusste: Bevor er vor der Kaiserin erschien, musste er ihrem Favoriten seine Ehrerbietung bezeugen, andernfalls konnte er nicht mit einem gnädigen Empfang rechnen. So wartete auch heute, genauso wie die anderen, ein orientalischer Würdenträger in Brokatturban und mit einem roten Bart. Er hatte die Finger anständig auf seinem Bauch gefaltet und die Lider gesenkt, obwohl unter ihnen manchmal ein Funken hervorschoss, wenn er um sich blickte und beobachtete. Wer das wohl war, ein Perser oder einer aus Buchara? Statt sinnlos die Zeit totzuschlagen, sollte man mit dem reden und ihm Fragen stellen.
Mitja und sein Vater waren vor langer Zeit gekommen, kurz nach neun; jetzt war es schon nach elf. Der Fürst hatte verschlafen, aber die Besucher murrten nicht, noch nicht einmal die ranghöchsten. Nur ein rundlicher General mit einer schwarzen Augenbinde jammerte die ganze Zeit, der Kaffee werde kalt. Neben Karpow
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