Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
gestellt. Er hat den Signorinas für einen Rubel pro Stunde das Tanzen beigebracht und ist jetzt Kavalier und Staatsrat.« Er spuckte aus. »Der Zar hat einen Diener, der Diener einen Schlawiner. Das ist derjenige, der in Wirklichkeit über das Reich herrscht. Ohne diesen windigen Kerl geht nichts.«
    Er war selber erschreckt über das, was er gesagt hatte, hielt sich den Mund zu und sah sich nach allen Seiten um.
    Egal, ob er nun ein Hochstapler war oder nicht, es war interessant, dem Italiener zuzusehen. Er war so fix, dass er alles gleichzeitig schaffte: er nickte den Würdenträgern zu, hörte gleich mehrere Bittsteller auf einmal an und küsste einer Dame die Hand. Plötzlich blieb er stehen und sagte fast akzentfrei:
    »Ihr, Herr General, seid der Erste. Ihr, Herr Graf, der Zweite. Dann Ihr, mein Herr, und danach sage ich noch Bescheid . . .«
    Er redete nicht zu Ende und legte den Kopf schief, wie es ein Hund tut, wenn er die Ohren spitzt, um ein kaum vernehmliches Geräusch zu hören. Dann hob er wie ein vor dem Orchester stehender Dirigent mit einem Ruck die Hand und verkündete:
    »Seine Durchlaucht Platon Alexandrowitsch Surow!«
    Man hörte laute, langsam näher kommende Schritte hinter der Tür.
    Die strahlenden Türflügel quietschten zum dritten Mal, und die vorn Stehenden verbeugten sich so tief, dass Mitja über die Rücken und die weißen Nacken hinweg alles sehr gut sehen konnte.
    Wahnsinn!
    In die Mitte des Saales kam eine Meerkatze in kurzem Rock und Spitzenhosen gewatschelt. Sie sah die gesenkten Toupets, klatschte in die Hände und zeigte lachend ihre gelben Zähne.
    Erst danach trat Platon Alexandrowitsch durch die Tür und kugelte sich vor Lachen.
    »Höchst löblich, dass ihr eure Ehrerbietung zeigt!«
    Ihm traten vor Lachen die Tränen in die Augen. Der Preobrashenze Pikin sprang von seinem Sessel auf und lachte noch lauter als der Fürst, während Metastasio sich mit einem fröhlichen Lächeln begnügte.
    »Schön. Sie befinden sich in guter Gemütsverfassung«, sagte der Alte erfreut.
    Und der Empfang begann.
    Seine Durchlaucht, der in einem chinesischen Morgenmantel vor die Besucher getreten war, nahm zuerst einen Imbiss zu sich: kostete Oliven, gefüllt mit Nachtigallenzungen, und aß Weintrauben aus Schemacha. Dann pulte er sich in den Zähnen. Nach den Zähnen nahm er sich die Nase vor, ohne sich in irgendeiner Weise vor den vielen Leuten zu schämen. Platon Alexandrowitschs Haut funkelte am Morgen nicht mehr golden, aber die Gesichtsfarbe Seiner Durchlaucht war frisch, und seine Wangen glänzten rosig. Der Mehrheit der Bittsteller lauschte er gelangweilt oder hörte ihnen vielleicht überhaupt nicht zu – die Gedanken des Lieblings der Fortuna waren in die Ferne geschweift. Manchmal musste er auf Geheiß des Coiffeurs einem sich tief verbeugenden Bittsteller seinen Hinterkopf zuwenden. Worum sie baten, hörte Mitja nicht, zumal jeder seine Angelegenheit möglichst leise vorbrachte und dem Fürsten fast ins Ohr flüsterte.
    Einigen antwortete er überhaupt nicht, was hieß, dass sie verabschiedetwaren; Begriffsstutzige packte Metastasio mit zwei Fingern am Ellenbogen oder am Rockschoß und zog sie nach hinten, wobei er ihnen bedeutete: Geht, so geht doch. Mitja beobachtete, dass der Italiener seinem Herrn bei mehreren Bittstellern etwas zuflüsterte; Surow hörte sie dann aufmerksamer an und ließ zwei, drei Worte fallen, die der Sekretär sofort in ein kleines Büchlein eintrug.
    Vater startete ein taktisches Manöver. Er packte Mitja am Ärmel und ging ganz vorsichtig nach links. Die Absicht, die dahinter stand, war: Wenn sie Seiner Durchlaucht das Haar auf der rechten Seite des Kopfes aufgedreht haben würden, musste er ihnen die andere Seite zuwenden, und sein Auge würde auf Vater und Sohn Karpow fallen.
    So kam es auch. Als er Mithridates und dessen Vater sah, kam in Seine Durchlaucht auf einmal Leben; seine Langeweile verflüchtigte sich, der Blick bekam ein Ziel.
    »Ach, da seid ihr also!«, rief der Fürst, machte einen Ruck mit dem Kopf und schrie auf – er hatte die glühend heiße Brennschere vergessen.
    »Ich lass dir die Hände abreißen, du Hampelmann!«, brüllte er den Coiffeur an. »Geh weg. Ihr beide, kommt her!«
    Vater preschte zuerst vor. Wie ein Falke schoss er zu Seiner Durchlaucht, verbeugte sich und blieb wie angewurzelt stehen. Mitja folgte ihm und stellte sich daneben. Was würde nun kommen?
    »Wie heißt Ihr . . . Peskarew?«, fragte Surow, während er

Weitere Kostenlose Bücher