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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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das schöne Gesicht von Alexej Woinowitsch betrachtete, und runzelte die Stirn.
    »Nein. Karpow, Seconderittmeister a. D., aus demselben Kavallerie-Garderegiment wie Durchlaucht persönlich.«
    »Karpow? Gut, das ist nicht weiter wichtig. Karpow, wisst Ihr was, Euren Sohn nehme ich als Pagen. Er wird bei mir leben.«
    »Oh, was für eine Ehre«, jubelte Vater. »Davon habe ich nicht zu träumen gewagt. Wir ziehen sofort in die Wohnung um, die Eure Durchlaucht uns zuzuweisen beliebt.«
    »Was?«, fragte Surow verwundert. »Nein, Karpow, Ihr braucht nicht umzuziehen. Ihr macht Folgendes.« Wieder runzelte er die Stirn. »Ihr reist ab . . . Nun, dahin, wo Ihr hergekommen seid. Sofort, auf der Stelle. Jeremej!«
    »Ja, Durchlaucht?«, fragte Metastasio und stellte sich auf die Zehenspitzen.
    »Gib ihm tausend oder zweitausend für seine Bemühungen, und dann in einen Schlitten mit ihm und ab die Post. Sieh dich vor, Karpow«, sagte Platon Alexandrowitsch streng und duzte den zu Tode erschrockenen Vater auf einmal, »lass es dir nicht einfallen, nach Petersburg zurückzukehren, du hast hier nichts zu suchen. Um deinen Sohn brauchst du dir keine Sorgen zu machen, er wird bei mir keine Not leiden.«
    »Aber . . . aber . . . Ich bin doch der Vater . . . Er ist ja noch ein Kind . . . Und dann, die Einladung Ihrer Majestät ins Brillantzimmer«, stotterte Alexej Woinowitsch unzusammenhängend.
    Aber der Fürst hörte ihm nicht zu, und Metastasio zog ihn schon am Rockschoß fort.
    »Vater!«, schrie Mitja und stürzte zu ihm. »Ich komme mit Euch! Ich will nicht bei dem hier bleiben!«
    »Nicht doch, nicht doch«, flüsterte Vater, ängstlich lächelnd. »Lass nur, macht nichts, schon gut. . . Du gewöhnst dich schon an sie, gefällst ihnen und denkst dann auch an uns. Mach es, wie Seine Durchlaucht will, dann wird alles gut. Gott beschütze dich!«
    Er segnete den Sohn schnell mit einem Kreuzzeichen, wagte aber nicht, sich weiter aufzuhalten, und ging rückwärts zur Tür, wobei er sich vor Platon Alexandrowitsch verbeugte.
    »Habt Ihr Euch verabschiedet?«, fragte der. »Hervorragend. Und nun komm her, mein Fröschlein.«
    Mitja war allein, mutterseelenallein unter all diesen fremden, unnützen Menschen. Und wie schnell alles gegangen war! Gerade eben noch war er mit seinem Vater zusammen gewesen und hatte nichts auf der Welt gefürchtet, und nun war er ein Waisenkind, ein winziger Halm unter riesigen Bäumen.
    »Jeremej, wie gefällt er dir?« Surow kniff Mitja leicht in die Backe.
    »Das hängt davon ab, für welchen Zweck Eure Durchlaucht diesen Knaben gebrauchen will«, antwortete der Italiener und betrachtete den Jungen.
    Mitja war mehr tot als lebendig. Was hieß »gebrauchen«? Doch nicht etwa essen? Ihm fiel eine chinesische Geschichte ein – über einen bösen Kaiser, der seiner Haut durch das Blut von Säuglingen ein jugendliches Aussehen gab. Das war hoffentlich nicht gemeint!
    »Wie, für welchen?«, antwortete der Fürst zornig. »Weißt du denn etwa nicht, wieso ich Schlaf und Magenverdauung misse? Was meinst du, taugt er als Postillon d’ Amour?«
    Über den Köpfen der Bittsteller tauchte der zottelige Kopf des Poeten auf.
    »Haben der ehrwürdige Fürst von Liebe gesprochen?«, schrie der Dichter und schwenkte ein Blatt. »Hier ist die versprochene Ode, die ich Eurer Durchlaucht zu Füßen legen möchte, ohne auf meine Rechte als Autor dieser inspirierten Zeilen zu pochen! Erlaubt Ihr, sie vorzulesen?«
    Surow erlaubte es nicht:
    »Dazu ist jetzt keine Zeit.«
    Der Sekretär nahm dem Dichter das Blatt ab, drückte ihm einen Goldtaler in seine dreckige Pranke und bedeutete der Menge: Haut ab, haut ab, das ist nicht für eure Ohren bestimmt.
    Er trippelte an den Tisch zurück, strich Mitja unterwegs über den Kopf und fragte:
    »Ist er nicht zu klein?«
    »Wie dumm du doch bist, Jeremej, obwohl man dich für klug hält. Er ist klein, aber fein. Das war mir sofort klar, schon gestern.« Und Surow holte listig lächelnd einen dicht beschriebenen Zettel aus der Tasche und wies Mitja an: »Hör zu und merk es dir.«
    Er las leise und mit Pathos:
    Pawlina Anikitischna, mon âme, mon tout ce que j’aime! Ihr flieht mich umsonst, ich bin nicht mehr der, der ich einmal war. Ich bin nicht mehr der lose Leichtfuß und Liebhaber greiser Wollust, für den du mich wohl hältst, sondern ein wahrer Werther; dem durch die unglücklich ungestillte Leidenschaft das Leben nicht mehr lieb ist, so dass er sich eine Kugel in den

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