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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Gute immer siegt.
    Aber Wolf war schon dabei, ihm einen Zettel in die Hand zu drücken, und er wusste nicht, wie er diesen bösen Spuk loswerden sollte.
    »Lesen Sie. Und entscheiden Sie dann selber, ob Sie bis morgen warten wollen oder nicht. Es ist schließlich Ihr Leben und nicht meins.«
    Es war die Kopie eines mit Schreibmaschine getippten Textes. Nicki las und traute seinen Augen nicht:
    URTEIL
    NIKOLAJ ALEXANDROWITSCH FANDORIN,
    Präsident der Firma »Land der Räte«, ist als Schwein und Betrüger entlarvt worden und wird aufgrund dessen zum höchsten Strafmaß verurteilt: der Vernichtung.
    »Was ist denn das für ein Unsinn?«, rief Fandorin aus. »Woher haben Sie das?«
    »Bis morgen, dann also bis morgen«, lachte der Hauptmann schadenfroh, nahm den Zettel wieder an sich und tat so, als wolle er gehen.
    Aber sein Zorn machte der Gnade Platz, und er entnahm der Mappe ein großes Glanzfoto.
    »Aus der Tasche dieses Bürgers.«
    Auf dem Foto sah man ein totes Gesicht in Großaufnahme: große offene Augen und um es herum auf dem Asphalt eine Blutlache. Der Gesichtsausdruck war für einen Toten ungewöhnlich: zufrieden, ja gleichsam triumphierend.
    Nicholas stöhnte.
    »Kennen Sie ihn?«, fragte Wolf.
    »Ja . . . Dieser Mann war heute bei mir. In meinem Büro.«
    »Das weiß ich. Er hatte eine Anzeige Ihrer Firma in der Tasche. Um wie viel Uhr war er da?«
    »Gegen drei. Was . . . Was ist mit ihm passiert?«
    »Wissen Sie den Namen?«, fragte der Milizionär und begann zu flüstern, als habe er Angst, die Beute in die Flucht zu schlagen.
    »Wessen Namen meinen Sie, seinen?«, fragte Fandorin begriffsstutzig zurück. »Kusnezow, ähähäh, seinen Vor- und Vatersnamen habe ich nicht behalten. So ein Allerweltsname. Iwan Petrowitsch, Sergej Alexandrowitsch oder so . . . Ich komme nicht drauf. Aber er wird wohl kaum seinen wahren Namen angegeben haben. Was ist mit ihm passiert?«
    »Warum sagen Sie › wohl kaum ‹ ?«
    »Ich weiß nicht. Es kam mir so vor. Nun erklären Sie doch mal endlich, wie er umgekommen ist. Und was dieses idiotische Gespräch eigentlich soll?«
    Der Hauptmann sagte enttäuscht:
    »Das kam Ihnen wohl zu Recht so vor . . . Sie sind ein geistesgegenwärtiger Mensch, Bürger Fandorin. Er hätte Ihnen nie im Leben seinen wahren Namen genannt . . . Wie er umgekommen ist, fragen Sie. Er ist vom Dach gesprungen. Uliza Soljanka, Nr. 1, das ist ganz in der Nähe.«
    »Dann war er das also!«
    Nicholas erinnerte sich an das Mondauto im Krater und die mit Kreide gezeichneten Konturen auf dem Asphalt.
    »Ich habe das Milizauto aus dem Fenster gesehen. Dort ist mein Büro!«
    »Ich weiß. Was wollte er von Ihnen? Was hat er gesagt?«
    »Ich habe, ehrlich gesagt, nicht verstanden, was er von mir wollte. Er hat sich merkwürdig benommen. Ihn bedrückte wohl irgendein persönliches Drama. . . Ich glaube, seine Frau war krank geworden oder gestorben. Vielleicht ist das auch die Ausgeburt eines kranken Hirns. Er war mit Sicherheit außer sich . . . Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er sofort nach seinem Besuch bei mir Selbstmord begehen könnte!«
    Na, du bist mir ja vielleicht ein schöner Berater und Seelenpräparator, warf er sich bitter vor. Du hast nicht gemerkt, dass dieser Mensch am Rande des Abgrunds steht. Vielleicht wollte er nur ein Wort der Anteilnahme hören, und da hast du ihm gesagt: »Haben Sie überhaupt ein Gewissen? Sie stören einen Menschen, der sehr beschäftigt ist.« Na, und womit war er beschäftigt? O Gott, er versank vor Scham!
    »Von wegen Selbstmord«, sagte der Hauptmann kichernd. »Er hatte die Hände auf dem Rücken gefesselt. Und am Knöchel hatte er eine Brandblase von einem Elektroschockgerät.«
    Er holte noch ein Foto heraus: die auf den Bauch gedrehte Leiche, deren Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren. Nicholas konnte die Augen nicht von den blutunterlaufenen Fingern des Toten abwenden und erschauerte.
    Wolf steckte die schrecklichen Fotos weg und setzte sich wieder. Auch Fandorin musste sich setzen; er fühlte, dass seine Knie zitterten.
    »Nikolaj Alexandrowitsch, einigen wir uns. Zuerst erzähle ich dir die ganze Wahrheit und dann du. Einverstanden?«
    Nicholas nickte verstört. Sein Kopf war völlig leer; es war nicht so, als ob sich die Gedanken in seinem Kopf verwirrten, sondern sie waren einfach abwesend.
    »Haben Sie von dem Mord an dem Generaldirektor der Geschlossenen Aktiengesellschaft › Intermedconsulting ‹ gehört?«,

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