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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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fragte der Beamte. »Ein gewisser Salzman. Sie haben ihn mit einer Bombe erledigt. In seinem Landhaus.«
    »Nein, daran erinnere ich mich nicht . . . Ich interessiere mich nicht sonderlich für die Chronik der Verbrechen. Geschäftsleute werden bei uns ja häufig umgebracht.«
    »Das stimmt allerdings, und es ist ja auch schon drei Monate her . . .« Wolf griff wieder nach seiner Mappe. »Das haben wir bei der Durchsuchung des Papierkorbs in seinem Arbeitszimmer entdeckt. Der Zettel war ihm offenbar per Post zugestellt worden, er hatte ihn für Blödsinn gehalten und weggeschmissen. Schauen Sie mal.«
    Ein Foto eines zerknitterten Stücks Papier mit maschinengeschriebenem Text:
    URTEIL
    LEONID SERGEJEWITSCH SALZMAN,
    Generaldirektor der Geschlossenen Aktiengesellschaft »Intermedconsulting«, ist als Schwein und Betrüger entlarvt worden und wird aufgrund dessen zum höchsten Strafmaß verurteilt: der Vernichtung.
    Nicholas wollte schlucken, um den Kloß, der ihm im Hals saß, loszuwerden; aber er schaffte es nicht.
    »Aber wie Sjatkow von der › Ehrlichen Bank ‹ umgebracht wurde, das musst du einfach gehört haben. Das ging durch alle Massenmedien.«
    Ja, an diese Geschichte konnte Nicholas sich erinnern. Erstens weil bei der Pleite der Bank mit dem sympathischen Namen gute Bekannte von ihm all ihre Ersparnisse verloren hatten. Zweitens weil der Mord schrecklich brutal gewesen war. In dem Auto, das in die Luft gejagt wurde, hatten auch Sjatkows siebenjährige Tochter und ihre Klassenkameradin gesessen. Sjatkow wollte die Kinder zum Zoo bringen.
    »Hier hast du noch etwas zu lesen.«
    Wieder lag ein Foto da. Genau so ein Zettel wie die beiden vorigen.
    URTEIL
    WLADIMIR FJODOROWITSCH SJATKOW,
    Vorstandsvorsitzender der »Ehrlichen Bank«, ist als Schwein und Betrüger entlarvt worden und wird aufgrund dessen zum höchsten Strafmaß verurteilt: der Vernichtung.
    »Was . . . was heißt das alles?«
    Nicholas wollte den Kragenknopf aufmachen. Aber die Finger gehorchten ihm nicht. Erst der zweite Versuch führte zum Ziel.
    »Ehrlich gesagt, weiß der Geier«, sagte der Beamte und lächelte treuherzig. »Die wahrscheinlichste Version, die wir haben, ist die: Irgendjemand hat beschlossen, die Gesellschaft von den Blutsaugern und kapitalistischen Tyrannen zu befreien. Irgendwelche durchgeknallten Kommunisten sind das, die sich als Veteranen der internationalen Pflicht begreifen. Du kennst unser Land ja selber: die Hälfte hat ruinierte Nerven, die andere Hälfte ist psychisch gestört, und die Hälfte jeder dieser Hälften hat gelernt, wie man Leute umlegt.«
    Fandorin wollte gegen diese ungeheure Übertreibung protestieren, aber als er noch einmal das Foto betrachtete, rief er aus: »Das ist doch Terrorismus! Reinsten Wassers! Irgendjemand, der sich auf irgendwelche Informationen stützt, fällt Todesurteile über unschuldige Menschen und setzt sie in die Tat um! So etwas hat es in Russland seit der Zarenzeit nicht gegeben! Die ganze Presse müsste davon voll sein! Die Duma müsste eine Untersuchungskommission einrichten! Und Stattdessen: Alles ist mucksmäuschenstill!«
    »Aus gutem Grund. Es soll keine Panik, beziehungsweise wie wir das in unserem Fachjargon nennen, › Resonanz ‹ geben. Genau das ist der Aufgabenbereich der sechzehnten Abteilung: Verbrechen, die imstande sind, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Gestorbenen sind ja, wie Sie selber sehen, keine einfachen Leute, sondern Ausbeuter vom Feinsten oder vornehm ausgedrückt: die Business-Elite. Es ist beschlossen worden, die Ermittlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit anzustellen. Sonst heißt es sofort: die rot-braune Gefahr, blahblahblah. Das ist schon Politik. Damit habe ich nichts zu tun. Ich bin ein Schnüffler. Ich stecke meine Nase ins Erdreich und schnüffele, ob dort eine Spur ist oder nicht. Kurz gesagt: Es ist ein Einsatz- und Untersuchungsstab eingerichtet worden. Er heißt: › Die Operation der unfassbaren Rächer ‹ . Das war meine Idee«, unterstrich der Hauptmann, aber Nicholas verstand den Humor nicht, weil er im Ausland aufgewachsen war und die klassischen sowjetischen Abenteuerfilme nicht kannte.
    Der Titel bezieht sich auf einen sowjetischen Film von 1966, beruhend auf der Erzählung »Die roten Teufelchen« von Pawel Bljachin. (Anm. der Übersetzerin)
    »Unfassbar?«, wiederholte er mit niedergeschlagener Stimme. »Kann man sie denn nicht doch irgendwie fassen ? Und wofür wollen sie sich an mir rächen?

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