Der Favorit der Zarin
Geheimrat dachte schweigend weiter nach. Dann nickte er und sagte:
»Ich brauche ein Geständnis von Pikin. Das ist der Erste, den wir aufs Kreuz legen, er hat am wenigsten Einfluss.«
»Er wird es doch nie zugeben!«, schrie Mitja. »Was hat er denn davon?«
»Nicht weil er etwas davon hätte, sondern weil ihm nichts anderes übrig bleibt«, lautete Maslows Antwort. »Komm, ich zeige dir den Grund, warum Andrej Pikin mir die ganze Wahrheit sagen wird. Gehen wir!«
Er führte seinen kleinen Komplizen in ein anderes Zimmer, das etwas geräumiger war und einen etwas gemütlicheren Anstrich hatte: an der Wand stand ein Sofa, auf dem sogar bestickte Kissen lagen, in einer Ecke hing ein trüber Spiegel, und an einem Tisch mit hübsch gebogenen Beinen standen zwei Sessel: der eine wirkte hölzern und unbequem, der andere glich, weich und einladend, einer tiefen Muschel.
»Das hier ist mein Wohnzimmer für Privatgespräche mit hoch stehenden Persönlichkeiten, die eine väterliche Zurechtweisung brauchen«, sagte Prochor Iwanowitsch, lächelte dabei listig und zwinkerte mit den Augen. »Einen lieben Gast, der auch weiblichen Geschlechts sein kann, behandele ich mit Respekt«, sagte er und zeigte auf den bequemeren Sessel. »Ich selber nehme mit diesem schlichten Stuhl vorlieb und tausche ihn auf keinen Fall gegen die weiche Sitzgelegenheit.«
»Warum nicht?«, fragte Mitja, der auf dem federnden Sitzplatz auf- und niederhüpfte. »Hier ist es doch viel besser.«
»Das kommt drauf an.«
Der Geheimrat drückte auf einen Hebel in der Lehne des Holzstuhls, und aus den Armlehnen des Besuchersessels kamen auf einmal zwei Metallstäbe hervorgeschossen, die sich vor Mitjas Brust schlossen. Er schrie vor Erstaunen auf, ließ sich auf den Boden gleiten und floh vor dem tollen Sessel in die hinterste Ecke.
»Was soll denn das?«
»Im Unterschied zu einem Kind, mein Lieber, kann sich ein Erwachsener aus dieser stählernen Umarmung nicht befreien. Ich binde ihn ja außerdem auch noch mit Riemen fest, oben und an den Füßen, damit er nicht herumstrampelt.«
»Und was dann?«
»Guck mal, was dann geschieht.«
Maslow drehte noch einmal an dem Hebel, und zusammen mit einem Quadrat des Parkettbodens rutschte der Sessel nach unten. Aber er verschwand nicht ganz in dem Loch, sondern die obere Hälfte der Rückenlehne ragte noch heraus.
»Das ist ja toll!«, sagte Mitja voll Bewunderung. »Aber ist diese technische Einrichtung auch für etwas gut?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Prochor Iwanowitsch lachte, nahm den Gast an der Hand, führte ihn in den schmalen Flur und von da über eine Wendeltreppe in den Keller. Hinter einer Eisentür befand sich ein fensterloser Raum mit nackten Steinwänden. In seiner Mitte thronte ein Holzpodium, auf dem Mitja den unteren Teil des von oben heruntergelassenen Sessels sah.
Von der Wand löste sich ein geduckter Schatten: ein Mann mit langen Armen, in speckiger Weste, die Haare zu einem Zopf geflochten.
»Wünsche Gesundheit, Euer Exzellenz!«, brüllte er mit Donnerstimme. »Aber der Sessel ist ja leer! Da sitzt keiner drauf! Was soll das heißen?«
Mitja erblickte in der Hand des übertrieben laut sprechenden Mannes eine siebenschwänzige Peitsche und zuckte zusammen. So war das also . . .
»Das ist der Exekutor«, erklärte Maslow. »Er heißt Martin Koslow, ich nenne ihn Martin der Beichtvater. Dass er brüllt, kommt daher, dass er auf beiden Ohren taub ist. Für Geheimangelegenheiten eine überaus nützliche Voraussetzung.«
Er wandte sich dem Exekutor zu und sagte leise, deutlich die Lippen bewegend:
»Ein Test, lieber Martin, ein Test. Arbeit wird es erst gegen Abend geben.«
»Ach so«, antwortete der Langarmige und deutete auf Mitja. »Ist das ein Verwandter von Euch?«
»Mein kleiner Enkel«, log der Geheimrat, ohne mit der Wimper zu zucken, und strich Mitja über die Haare. »Geh jetzt, Martin, und ruh dich aus.«
Er führte Mitja zu dem Podium und zeigte es ihm.
»Guck mal, den Sitz des Sessels kann man abmachen. So. Dann werden der Person, die uns ins Netz gegangen ist, die Unterhosen aus- respektive das Kleid hochgezogen, das hängt von dem Geschlecht ab. Und dann beginnt die Arbeit. Ich ermahne von oben, vom Zimmer aus, mit Worten und mit der entsprechenden Höflichkeit, denn die Personen sind ja alle nicht einfacher Herkunft, sondern stammen aus dem Adel. Martin mahnt von unten.« Prochor Iwanowitsch blinzelte ihm verschwörerisch zu und sagte: »Manchmal kommst du
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