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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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die Glasbehälter aufgehängt waren, wäre er binnen kürzester Zeit ertrunken, denn Mitja war zwar ein Uberflieger in ier mathematischen Wissenschaft, verstand etwas von der Struktur der Materie und kannte sich in der Philosophie recht gut aus, aber schwimmen konnte er nicht; er hatte keine Zeit dazu gehabt, das zu lernen.
    Auch die Stricke, an denen er sich festklammerte, hätten ihn letztlich nicht retten können. Nach ein oder zwei Minuten verkrampften sich seine Finger und ließen los. Nur einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass der Vizekoch Wein holen ging und das Wimmern in dem Brunnen hörte; Mithridates Karpow hätte andernfalls seine Eltern und Mütterchen Zarin mit Sicherheit tief betrübt.
    Als der Vizekoch den Knaben herausgezogen hatte, verpasste er ihm als Erstes ein paar Kopfnüsse, um ihm einzuschärfen, er solle gefälligst nicht überall herumschnüffeln, aber dann gab er ihm einen Schluck Wein, zog ihn aus, rieb ihn mit einem Wollhandschuh ab und wickelte ihn in zwei Schürzen ein. Mitja war trotz der ungerechten Kopfnüsse und der Tatsache, dass er ausgeschimpft wurde, nicht beleidigt. Er küsste dem Grobian zum Dank, dass er ihn gerettet hatte, die Hand, erklärte ihm aber nichts.
    Später, als er schon nicht mehr in Schürzen, sondern in ein Bärenfell eingewickelt war, lag er in seinem Schlafzimmer und analysierte das Geschehene.
    Das konnte man nicht auf die Missgunst des Palastes schieben, der Vorsatz eines Menschen war nicht zu übersehen. Jemand wollte den Studenten der Kaiserin umbringen, nur wie durch ein Wunder war er mit seiner Absicht gescheitert.
    Und da brauchte es auch keine komplizierte Analyse. Wer hat eine grün-rote Uniform? Das Preobrashenski-Regiment.
    Mitja zog an der Klingel und befahl dem Kammerdiener, in Erfahrung zu bringen, wer heute den Palast bewache. Ja, es war das Preobrashenski-Regiment. Kommandeur war Hauptmann Pikin. Als Mitja diesen Namen hörte, schüttelte es ihn wieder, aber diesmal nicht vor Kälte. Er überlegte weiter und erinnerte sich an den heruntergefallenen Kronleuchter.
    Er zog sich hastig an, ohne die Hilfe des Kammerdieners. Er schlich in die Wachstube, wo das Verzeichnis der Wachdienste lag. Er wartete an der Tür, bis der Sergeant aufbrach, um die Posten zu kontrollieren, und ging hinein. Wer hatte vor einer Woche, am sechzehnten Februar, ebenfalls einem Freitag, Dienst gehabt? Jawohl: Hauptmann Andrej Pikin. Man hatte den Diener umsonst zu den Soldaten gesteckt. Auch das nächtliche Knarren der Tür war nun verständlich. Der Verbrecher hatte sich in das Schlafzimmer geschlichen, hatte mit dem Messer oder irgendeinem anderen Gegenstand den Strick angeschnitten und war abgehauen; das Weitere hatte dann das Gewicht des Kronleuchters besorgt.
    So war das also! Herr Metastasio, dieser einfallsreiche Mann, hatte sich keineswegs beruhigt. Und er würde sich auch erst dann beruhigen, wenn er diesen gefährlichen Zeugen ins Jenseits befördert hätte!
    Mitja war sichtlich angegriffen, er überhörte die sich nähernden Schritte. Als die Tür sich öffnete, war es zu spät, um wegzulaufen.
    Pikin und der Sergeant, ein noch ganz junger Mann, betraten die Stube.
    »Seht mal, Bibikow«, sagte der Hauptmann fröhlich, »wir haben Besuch. Seine Majestät Mithridates der Weise. Was machst du denn hier? Hast du gehört, was mit der neugierigen Warwara passiert ist? Ja?« Seine Riesenaugen durchbohrten den vor Schreck gelähmten Mitja. »Ich habe gehört, du bist im Brunnen Tauchen gegangen? Hast du die Froschkönigin gesucht? Meine Fresse, da hast du aber verdammtes Schwein gehabt. Solche Leute wie du gewinnen doch garantiert auch im Kartenspiel. Das müsste man dir beibringen. Zu zweit würden wir alle unter den Tisch spielen, hab ich Recht?«
    Und da lachte der Mörder. Und kein Schatten, keine Wolke trübte sein Gesicht. Das machte alles noch schrecklicher.
    Mitja kreischte auf, schaffte es, unter dem Ellenbogen des Sergeanten durchzukommen, und raste ohne Sinn und Verstand davon.
    Das sagt man nur, dass jemand ohne Sinn und Verstand davonläuft, in Wirklichkeit weiß auch jemand, der große Angst hat, sehr wohl, wohin er laufen muss, um sich zu retten. Auch Mithridates wusste das, ja, er hatte keinen Zweifel.
    Es gab einen Mann, dessen Aufgabe es war, die Kaiserin zu beschützen und Verschwörungen gegen ihre erlauchte Person zu nterbinden. Dieser Mann war bekannt, es war der Geheimrat Maslow, Chef der Geheimexpedition. Schon längst hätte er

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