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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Martin und wischte sich die Stirn. »Das heißt Tätowierung und kommt von den türkischen Kriegsgefangenen. Es gibt Weiberhelden, die sich, um die Weiber zu beeindrucken, mitten auf der Eichel mit Tusche Zeichnungen eingravieren lassen. Der hier ist bestimmt ein Sodomit. Bei denen sitzt die ganze Potenz im Steiß. Pfui Spinne! Dem hab ich seine geliebte Präportia aber ordentlich gestreichelt!«
    Und er grölte lachend über seinen Witz.
    »Warte ein bisschen, Kleiner. Ich muss arbeiten. Erst wenn Prochor Iwanowitsch an der Schnur zieht, kann ich mit dem Schlagen aufhören.«
    Und wie er dann ausholte und zuschlug! Da hörte man von oben nur noch ein Röcheln.
    An der Decke hing tatsächlich eine stramme Schnur, nur wer sollte oben an ihr ziehen?
    Mitja warf sich auf die Hand mit der Peitsche.
    »Was willst du?«, fragte der Exekutor.
    »Das ist nicht irgendjemand, sondern Prochor Iwanowitsch höchstpersönlich«, sagte Mitja, die Lippen deutlich bewegend. »Da ist ein Fehler passiert!«
    »Um Gottes willen!«, antwortete Martin erschrocken. »Und da schlage ich aus voller Kraft zu! Und denke mir noch, was ist das nur für ein Dickkopf; und ich wollte schon zum Schraubstock greifen! O Gott, o Gott, o Gott! Ich bin verloren.«
    Und er kam in Bewegung und wusste weder ein noch aus.
    »Sofort, Eure Exzellenz! Ich hole Wundessig! Und reibe Euch dann mit Öl ein«, sagte der Peiniger in kläglichem Ton und schleppte ein kleines Kupferbecken an.
    Mitja sah nicht länger zu, sondern drehte sich um und ging nach Hause. Er verstand, dass es dem Geheimrat nach dem, was geschehen war, peinlich sein würde, dem Jungen in die Augen zu blicken.
    Aber Pikin, was war mit Pikin?
    Am Abend fand ein Maskenball aus Anlass des Geburtstags Ihrer Kaiserlichen Hoheit statt, der rechtgläubigen Großfürstin Maria Pawlowna, die vor kurzem neun Jahre alt geworden war. Es gab allen Grund dafür, dass die Feier prächtig und glanzvoll werden sollte. Die Tochter des Thronfolgers war seit Beginn des Winters bettlägerig gewesen; sie hatte Mumps gehabt, und alle hatten schon gedacht, sie werde es nicht überleben, doch der Allmächtige hatte ein Einsehen gehabt. Noch vor wenigen Tagen war sie sehr schwach gewesen, weshalb man mit der Feier hatte warten müssen, und nun lief sie schon wieder herum und unternahm Spazierfahrten. Die Kaiserin, die den Wildfang ausgesprochen liebte, hatte sich etwas Besonderes einfallen lassen: einen Waldball. Als Maria Pawlowna todsterbenskrank daniederlag, hatte die kaiserliche Oma, die schon die Hoffnung aufgegeben hatte, gefragt, um sie aufzumuntern: »Was soll ich dir zum Geburtstag schenken, mein Liebes?« – »Einen Waldigel«, hatte Ihre Hoheit mit schwachem Stimmchen geantwortet. Wenn diese Geschichte erzählt wurde, wischte man sich bei Hof immer ein Tränchen ab.
    Und nun hatte sich der Taurische Palast in ein Waldreich verwandelt. Die Wände des Festsaals waren über und über mit Fichten- und Kiefernzweigen bedeckt, die Sessel drapierte man so, dass sie aussahen wie Baumstämme, hinter den mit echter Baumrinde beklebten Säulen waren Bären, Wölfe und Füchse zu sehen, und für den Einzug der Gäste hatte man den Seiteneingang in der Form eines Riesenigels gestaltet. Es war ein Igel mit gewaltigen Holzstacheln und leuchtenden Glasaugen; und die Tür führte in seinen Bauch.
    Als man die Großfürstin brachte und sie das wunderbare Tier sah, klatschte sie in die Hände und quietschte vor Vergnügen. Ihre Hoheit war im Erdbeer-Kostüm: rotes Kleidchen und auf dem geschorenen Kopf ein smaragdgrüner Kranz. Die Eingeladenen sollten die Waldfauna oder -flora darstellen: Pilze, Tiere, Waldgeister, Nixen und ähnliche Wesen. Sich nicht zu kostümieren, war niemand erlaubt; sogar die ausländischen Gesandten, die den Festakt nicht unter sentimentalen, sondern unter politischen Gesichtspunkten bewerteten, erschienen verkleidet: der preußische Gesandte als Milchling, der britische als Zobel, der schwedische als Holzkäfer, der neapolitanische als Hase, aber am meisten Mühe hatte sich der bayerische Gesandte gegeben, der als stolze Eiche kostümiert war. Später schrieben sie dann den heimischen Regierungen in ihren Relationen, dieses Fest habe zweifelsohne den Triumph des Waldes (id est: der Waldmacht Russland) über den langjährigen Konkurrenten, das Feld (id est: Polen), gezeigt.
    Mitja verkleidete der Kammerdiener als Waldschrat. Er wusch ihm den Puder aus den Haaren und klebte ihm ein Bärtchen an.

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