Der Federmann
an.
»Danke.«
Jana Michels lächelte. »Wofür?«
»Dafür, dass Sie mir zuhören.«
Sie schauten sich lange an.
Gleich sagt sie mir, das sei ihr Beruf, dachte er. Hoffentlich weist sie nicht wieder auf ihren Beruf hin.
Aber sie schwieg.
Stattdessen fragte sie nach einer Weile: »Ist das vielleicht Ihr Mangel, Herr Trojan? Fehlt Ihnen jemand, mit dem Sie sprechen, dem Sie alles erzählen können?«
Er schluckte.
»Ich weiß nicht.«
Sie wartete. Er wurde verlegen.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf erwidern soll.«
»Gar nichts. Sie sitzen hier nicht in einem Verhör. Aber denken Sie doch einmal darüber nach.«
Sie blickte auf die kleine Uhr auf dem Tisch.
Gleich sagt sie wieder, wir müssen für heute Schluss machen, dachte er. War es denn schon so spät? Er war doch eben erst gekommen. Oder hatte er so lange zu ihr gesprochen? Er war verwirrt, erleichtert und verwirrt zugleich.
»Wollen Sie es sich bis nächste Woche noch einmal überlegen, ob Sie wirklich die Therapie beenden möchten? «
Er nickte schwach.
»Haben wir eigentlich schon einen Termin für die nächste Woche ausgemacht?« Sie blätterte in ihrem Kalender. »Wieder am Montag zur selben Zeit? Meinen Sie, dass sich das einrichten lässt?«
»Oder was halten Sie von diesem Freitag?«, fragte er schnell. »Freitagabend. Ich würde Sie gerne zum Essen einladen.«
Sie blickte auf.
Für einen Moment zweifelte er daran, ob er diese Frage wirklich ausgesprochen hatte.
Es dauerte zwei, drei Sekunden, dann erhob sie sich. Er stand ebenfalls auf.
»Schön«, sagte sie ernst. »Freitagabend, hier.«
»Hier?«
»Um zwanzig Uhr in der Praxis.«
Er starrte sie an.
Ein seltsames Lächeln huschte über ihre Lippen. »Das ist Ihr nächster Termin.«
Da standen Zahlenreihen an der Tafel, und die Lehrerin sagte etwas. Plötzlich wurde es still in der Klasse. Alle sahen zu Lene hin, aber Lene hatte nicht zugehört.
»Würdest du bitte endlich nach vorne kommen.«
Die Lehrerin trug einen Blazer, das Muster darauf begann vor ihren Augen zu flimmern, wenn sie zu lange hinschaute.
Lene stand auf und ging nach vorn. Sie nahm die Kreide und starrte auf die Zahlen.
Die Lehrerin sagte wieder etwas, alle in der Klasse lachten.
Da schrieb Lene schnell eine Zahl an das Ende der Reihe, hinter das Gleichzeichen.
»Kannst du uns vielleicht erklären, was das zu bedeuten hat?«
Ihr Blick durchbohrte sie. Sie hieß Frau Stumpe, das hielt Lene für passend, wie ein Stumpen, der im Herzen steckte.
»Lene! Ich hab dich etwas gefragt!«
Anstelle einer Antwort strich Lene die Zahl einfach wieder durch.
»Nimm gefälligst den Schwamm, wenn du etwas korrigieren willst«, befahl die Stumpe.
Lene ekelte sich vor dem Schwamm, der nach altem Wischwasser stank. Er tropfte, sie wrang ihn aus, das gab eine Pfütze auf dem Boden, und die Stumpe wurde rot im Gesicht. Lene kannte das, wenn sie rot anlief, folgte bald ihr Kreischen, und das tat in den Ohren weh.
Wieder lachten alle über sie.
Da läutete die Schulglocke, und Lene konnte aufatmen.
Sie wollte sofort zurück zu ihrem Platz, doch die Stumpe hielt sie zurück. Sie roch das Deo unter dem Blazer. Das Muster flimmerte.
»Du musst dich mehr anstrengen, Lene, sonst wird das nichts.«
Sie quetschte ihren Arm, Lene verzog das Gesicht.
Vor dem Schultor begann sie rennen. Sie musste Berenice
einholen, sie fragen, ob sie sich am Nachmittag zum Spielen treffen könnten, denn der Nachmittag war lang.
Gerade noch rechtzeitig erkannte sie, dass Paula neben Berenice ging, kaum war sie bei ihnen, steckten die beiden die Köpfe zusammen, dann kicherten sie und drehten sich zu ihr um.
Augenblicklich blieb Lene stehen.
Berenice und Paula gingen weiter.
Paula hatte in der großen Pause laut verkündet, sie würde mit Lene kein Wort mehr sprechen, weil sie nicht zu ihrem Geburtstag gekommen war.
Vielleicht würde ja auch Berenice nicht mehr mit ihr sprechen.
Lene zurrte die Schultasche fest und ging allein nach Hause.
Sie heftete den Blick auf die Gehwegplatten an der Weserstraße, sie durfte auf gar keinen Fall auf die Ritzen zwischen ihnen treten, das brachte Unglück. Sie machte große Schritte und blieb Siegerin. Doch kurz vor der Ecke Fuldastraße trat sie in eine hinein.
Feuer, verbrannt, dachte sie.
Sie schloss die große braungestrichene Tür auf und verschwand in dem dunklen Treppenhaus, zeichnete wie immer mit dem Finger die Schmutzspur an der Wand nach, während sie die Treppe nach oben
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