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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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mir?«
    »Mach ich.«
    »Eigentlich wollte ich mich ja heute mit Leo treffen.«
    Er horchte auf. Den Namen hatte sie bisher noch nie erwähnt.
    »Aber eigentlich müsste es doch an ihm sein, mich anzurufen, findest du nicht?«
    »Wer ist Leo?«
    Sie antwortete nicht. Er hörte sie in den Hörer atmen, stellte sich vor, wie sie auf ihrem Bett saß, die Beine untergeschlagen, wie sie eine Haarsträhne durch ihre Finger zwirbelte und sie auf Spliss untersuchte.
    »Emily?«
    Für einen Moment fürchtete er, dass ihr gerade die Tränen kamen. Herrgott, er würde es niemals pünktlich zu seiner Verabredung schaffen oder zu seinem Termin, aber es
war nun einmal seine Pflicht, Emily zu trösten, wenn sie Kummer hatte.
    »Bist du noch dran, Em?«
    Sie holte tief Luft.
    »Ja, also, Leo ist – wie soll ich dir das erklären –«
    Noch ein Blick zur Uhr, und er hatte einen Entschluss gefasst: »Emily, was hältst du davon, wenn du am Sonntag zu mir kommst? Dann kannst du mir alles erzählen. Es ist nämlich so – ich bin ziemlich in Eile.«
    »Du hast eine Verabredung! Na klar doch, es ist Freitagabend, und Freitagabend verabredet man sich.«
    »Versteh das bitte nicht falsch, ich –«
    »Ich war ja eigentlich auch verabredet, aber –«
    Sie brach ab.
    »Ist Mama da?«, fragte er vorsichtig.
    »Hmm.«
    Es entstand eine Pause. Diese typische Pause, wenn er ihre Mutter erwähnte.
    »Also was hältst du von Sonntag?«
    »Sonntag?«, fragte sie gedehnt, als müsste sie nachdenken.
    Wieder eine Pause.
    »Und um wie viel Uhr?«
    »Um elf. Wir frühstücken. Wir gehen spazieren, wir –«
    Leo, dachte er, wahrscheinlich hat sie Liebeskummer.
    »Okay?«
    Er lauschte, versuchte ihrem Schweigen zu entnehmen, ob es ihr wirklich recht war. Oder fühlte sie sich jetzt abgewiesen?

    Es war Viertel vor acht.
    War er ein schlechter Vater?
    »Okay«, sagte sie.
     
    Es war ihr unter Strafe verboten, die Barbiepuppen zu berühren. Aber sie musste sie bewundern.
    Nach drei Stunden ließ Berenice sie vor ihren Augen in einer Kiste verschwinden. Wie gern hätte Lene ihnen das Haar gekämmt.
    Berenice stand auf und sagte: »Komm mit.«
    Lene gehorchte, wie sie schon den ganzen Nachmittag über gehorcht hatte.
    Die Mutter von Berenice saß im Wohnzimmer und blätterte in einem Magazin.
    »Lene muss jetzt gehen«, verkündete Berenice.
    »Oh«, sagte die Mutter.
    »Stimmt nicht«, sagte Lene leise.
    Berenice sah sie an, ihre Augen funkelten. »Doch, du musst gehen.«
    Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie bei ihr spielen durfte, verwarnt und herumkommandiert wurde. Vielleicht war es der letzte Tag, an dem sie eine Freundin hatte.
    Berenice stemmte die Hände in die Hüften und sagte: »Du wirst nämlich zu Hause erwartet.«
    Ist nicht wahr, wollte Lene protestieren, aber sie schwieg.
    »Wirst du abgeholt?«, fragte die Mutter von Berenice.
    Lene schüttelte den Kopf.
    »Du findest den Weg allein?«
    Sie nickte.

    »Bei uns gibt es heute Hähnchenschenkel zum Abendessen«, sagte Berenice. Lene verstand. Für sie sollte es keine Hähnchenschenkel geben, wäre ja auch zu schön.
    Sie verabschiedete sich brav von der Mutter, Berenice brachte sie zur Tür.
    »Meine Mutter macht die Hähnchenschenkel mit Erdnusssoße. «
    »Erdnusssoße mag ich nicht«, entgegnete Lene, obwohl das nicht stimmte.
    Mit großen Schritten ging sie heim. Sie durfte nicht auf die Ritzen zwischen den Gehwegplatten treten.
    Einmal unterbrach sie das Spiel und schaute in dem Laden an der Ecke nach, ob sie dort noch immer die verzuckerten Weingummis hatten, in Kringelform, die sie so sehr mochte. Sie waren noch da, aber sie kosteten nach wie vor dreißig Cent das Stück, und das war zu teuer.
    Lene ging weiter.
    Kurz vor der Haustür in der Fuldastraße trat sie absichtlich in eine Gehwegritze.
    Feuer, verbrannt, dachte sie.
    Sie zählte die Stufen im Treppenhaus bis zu ihrer Wohnungstür, verzählte sich absichtlich, so dass es nicht mehr achtundsechzig waren, sondern einundsiebzig. Manchmal gab es noch Wunder.
    Sie schloss auf, betrat die Wohnung und wollte gerade nach ihrer Mutter rufen, als ihr der Atem stockte.
    Auf dem Teppich im Flur lag etwas.
    Es starrte sie aus winzigen Augen an.

    Nachdem sie aufgelegt hatten, blieb er eine Weile mit eingesunken Schultern vor dem Telefon stehen. Schließlich gab er sich einen Ruck, knüllte das nachtblaue Hemd zusammen und schlüpfte in ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Er trug ja doch lieber T-Shirts als Hemden, und

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