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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bentow
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endlich vor der Praxistür. Diesmal öffnete ihm Jana Michels persönlich.

    »Da sind Sie ja, Herr Trojan.«
    Er rang nach Atem und spürte, wie ihm der Schweiß in Bächen herunterlief. Mit einemmal fürchtete er, aufstoßen zu müssen und den Geruch von Döner Kebab zu verströmen.
    Er murmelte eine Entschuldigung, sie warf ihm bloß die Andeutung eines Lächelns zu und ließ ihn herein.
    »Kommen Sie gleich mit nach hinten durch.«
    Wie ein Schuljunge tappte er ihr hinterher.
    In dem Zimmer am Ende des Ganges folgte die übliche Prozedur, sie notierte etwas auf ihrem Laptop, er hockte in einem der beiden Ledersessel. Verstohlen wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
    Schließlich setzte sie sich ihm gegenüber.
    Sofort brach es aus ihm heraus: »Ich kann das nicht mehr.«
    Sie sah ihn fragend an.
    »Diese Therapie. Ich schaffe das nicht mehr.«
    Und als sie nichts erwiderte, fuhr er einfach fort: »Mein Kollege muss die Vernehmungen für mich übernehmen, wir arbeiten an einem bestialischen Mordfall, wir haben nichts in der Hand, die Stimmung im Kommissariat ist schlecht, alle knurren sich gegenseitig an, ich kann nicht mehr schlafen, weil mich die Bilder vom Tatort verfolgen, und ich frage mich, wozu ich das alles tue und wohin das führen soll. Ich kann einfach nicht mehr.«
    »Sprechen Sie von der Therapie oder von dem Mordfall?«
    »Von beidem.«
    Sie hob die Augenbrauen. »Kann es vielleicht sein, dass Sie einiges davon durcheinanderbringen?«

    »Wie soll ich mich auf mein Seelenleben einlassen, wenn ich rund um die Uhr arbeiten muss!«
    »Das ist eine berechtigte Frage.«
    »Ich muss alles Persönliche ausschalten, sonst kann ich mich nicht auf den Fall konzentrieren.«
    »Möchten Sie mir von diesem Fall erzählen?«
    Es wurde sehr still im Zimmer. Trojan überlegte. Sie unterlag ja einer beruflichen Schweigepflicht, und wenn er keine Namen nannte, wäre es erst recht unbedenklich. Jedoch fürchtete er, dass ihm die Stimme versagen würde, so angespannt war er in den letzten Tagen gewesen.
    Schließlich begann er ihr alles zu erzählen, ersparte ihr kein Detail vom Tatort, zählte Einzelheiten aus den Ermittlungen auf, und je länger er sprach, desto befreiter fühlte er sich.
    Sie unterbrach ihn nicht. Irgendwann war er fertig. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.
    Sie schwiegen beide, er hörte ihre Atemzüge.
    Dann sagte Jana Michels leise: »Ich kann verstehen, Herr Trojan, dass Sie das alles sehr belastet. Sie mussten furchtbare Dinge mit ansehen. Das ist erschütternd. Und Sie haben wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Die meisten Taten sind Beziehungstaten, aber in diesem Fall glaube ich das nicht. Es war jemand, der sich irgendwie Zutritt zur Wohnung seines Opfers verschafft hat.«
    »Der Vogel könnte ein Zeichen sein.«
    Er nickte.
    »Und dass der Vogel keine Federn mehr hat,«, sagte sie, »ist möglicherweise auch von Bedeutung.«

    Wieder nickte er. »Haare und Federn.«
    »Was für den Menschen die Haare sind –«
    »– sind für den Vogel die Federn«, ergänzte er.
    »Der Täter scheint hier auf etwas hinzuweisen. Er raubt seinem Opfer die Haare, so wie er dem Vogel die Federn geraubt hat.«
    »Was fällt Ihnen zu den Augen ein?«, fragte Trojan.
    »Was fällt Ihnen ein?«
    Er schwieg.
    »Ganz spontan, was fällt Ihnen ein?«
    »Ausgestochen, leer.«
    »So leer, wie Sie sich selbst fühlen?«
    »Hilflos, verzweifelt, im Dunkeln. Aber das ist meine Sicht. Ich muss an den Täter denken.«
    »Möchte er vielleicht nicht, dass das Opfer ihn ansieht bei der Tat?«
    Trojan blickte auf. »Er will also etwas verbergen?«
    »Möglich.«
    »Aber was?«
    »Was glauben Sie?«
    Er überlegte, dann schüttelte er wortlos den Kopf.
    »Ist es vielleicht ein Mangel? Ein Makel?«
    »Sie meinen: etwas, wofür er sich schämt?«
    Sie nickte.
    »Wie sah diese Frau aus, die er umgebracht hat?«, fragte sie nach einer Pause. »Was war besonders an ihr?«
    »Sie hatte schönes blondes Haar. Lang und kräftig.«
    »Könnte es sein, dass er die Haarpracht seines Opfers als Trophäe nimmt?«
    »Eine Trophäe, ja. Aber was tut er damit?«

    »Anschauen, berühren. Dadurch evoziert er die Tat immer wieder aufs Neue. Vielleicht schmückt er sich sogar damit.«
    »Er schmückt sich mit den Haaren seines Opfers?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Eine Vermutung, mehr nicht.«
    Trojan atmete tief durch.
    »Eine Trophäe, ein Schmuck«, murmelte er.
    Er sah sie

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