Der Fehler des Colonels
vor einem Jahr in einer überfüllten Bar getroffen hatten. Da hatte sie auch seine Schulter berührt – kurz bevor sie einen USB-Stick mit iranischen Bankunterlagen in seine Hand gleiten ließ. Ihr Gesicht war ihm ganz nah gewesen, als sie ihm den Verschlüsselungscode zuflüsterte, und sie waren ein paar Herzschläge länger in dieser intimen Position verharrt, als streng genommen nötig.
Danach hatte Mark sich in Erinnerung gerufen, dass schwanzgesteuertes Denken im Nachrichtendienst gefährlich werden konnte. Das ging ihm jetzt wieder durch den Kopf.
»Hör mal«, sagte er. »Ich muss wissen, was zwischen dir und Campbell gelaufen ist.«
Sie zog ihre Hand zurück.
»Nichts. Ich bin ihm vorher noch nie begegnet.«
»Schön, aber er hat dich gekannt.«
Sie schaute ihn ratlos an. »Nein.«
»Campbell hat dich als Übersetzerin für seine Rede auf der Konferenz angefordert.«
»Mich?«
»Ja, laut Kaufman hat er deshalb eigens den Botschafter angerufen und deinen Namen genannt. Wie ist er auf die Idee gekommen?«
»Keine Ahnung. Campbell war nicht einmal als Regierungsvertreter hier, sondern als selbstständiger Berater. Überhaupt war es ein Witz, dass ich damit beauftragt worden bin, als könnte er nicht selber eine Dolmetscherin engagieren. Ich dachte, der Botschafter schuldet ihm einen Gefallen.«
»So oder so muss es einen Grund geben, warum ein ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister dich als Dolmetscherin wollte.«
Daria warf ihm einen bösen Blick zu.
»Übrigens«, sagte Mark, »ich habe immer noch meine Dienstzulassung. Und Kaufman hat dich autorisiert, mit mir zu sprechen.« Was nicht ganz stimmte.
»Ich lüge dich nicht an.«
»Das hab ich nicht behauptet.«
»Du hast es gedacht.«
Mark sann über die Widersprüche in der Arbeit eines Agenten nach: Ständig ging es um Täuschungsmanöver und Lügen – ein guter Lügner zu sein war sogar eine wichtige Voraussetzung für den Job –, bei der Kommunikation innerhalb der Agency sollten aber dieselben Leute plötzlich grundehrlich sein. Natürlich war das nicht immer der Fall. In seiner aktiven Zeit hatte er selbst manchmal Probleme damit gehabt, die scharfe Trennlinie zwischen akzeptablem Verhalten im Einsatz und akzeptablem Verhalten im Büro einzuhalten.
Was hieß, dass er gegenüber der Zentrale nicht selten gelogen hatte, was das Zeug hielt. Es gab ein paar Dinge, die man in Langley nicht zu wissen brauchte und wahrscheinlich auch gar nicht wissen wollte. Er hatte immer gedacht, Daria sei eher der offene, ehrliche Typ, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher.
»Woran hast du gearbeitet, bevor das alles passiert ist?«, fragte er.
Daria schwieg eine Weile, dann sagte sie widerstrebend: »Nachdem du gegangen warst, hörte ich durch einen meiner Agenten, dass China und Iran eine Vereinbarung über eine Ölpipeline getroffen haben.« Sie schaute durch die Windschutzscheibe und vermied es, Mark anzusehen.
»Von wo nach wo?«
»Vom Iran hinauf nach Turkmenistan, dann ostwärts über Kasachstan nach China.«
»Von so einem Plan war schon seit einiger Zeit die Rede. Kasachstan und China sind ja schon verbunden.«
»Nicht in dem Umfang, wie sie es jetzt vorhaben. Das ist keine normale Ölpipeline. Die ist riesig – vier Millionen Barrel pro Tag.«
»Mein Gott«, sage Mark. Über Pipelines wusste er Bescheid. Als Stationschef war die Überwachung der BTC eine seiner Hauptaufgaben gewesen – sie war die entscheidende Energieverbindung des Westens in die kaspische Region. Aber durch die BTC flossen nur eine Million Barrel pro Tag.
»Genau. Das dachte ich mir auch.« Daria fuhr sich mit der Hand durchs Haar und warf Mark einen besorgten Blick zu.
»Wie wollen die das Ding voll bekommen? Iran fördert kaum so viel Öl.«
»Sobald die Pipeline gebaut ist, werden sie andere Länder gewinnen. Wenn das Kaschagan-Ölfeld von Kasachstan einspeist, kann man sie füllen. Turkmenistan wird wahrscheinlich auch liefern. Klar, China ist weit weg, und es wäre billiger, das Öl durch die BTC zu leiten oder es durch den Persischen Golf zu verschiffen.«
»Aber die Chinesen sind bereit, einen ordentlichen Zuschlag zu bezahlen, wenn sie sich damit eine zuverlässige Erdölversorgung sichern können«, meinte Mark.
»Wenn sie diese Pipeline bauen, wird der Großteil der Erdölexporte Irans in den nächsten dreißig Jahren nach China gehen. Dann können die USA und Europa es vergessen, Iran durch Ölembargos unter Druck zu
Weitere Kostenlose Bücher