Der Fehler des Colonels
treffen.«
»Wir verhalten uns diskret.«
»Wie gesagt, meine Agenten verlassen sich darauf, dass sie mich allein treffen.«
Damit ging sie ins Bad und machte die Tür zu.
Eine Minute später klopfte Mark an. Daria öffnete die Tür einen Spaltbreit und er stieß sie ganz auf. Mit einer Schere in der Hand stand sie vor dem Spiegel und schnitt sich die Haare zehn Zentimeter kürzer. Die Strähnen ließ sie ins Waschbecken fallen, dessen tropfender Wasserhahn im Takt eines Metronoms nach und nach ein Loch ins Becken fraß.
Mark hatte die 108 Seiten von Darias Personalakte zweimal gelesen. Und er war über ein Jahr ihr direkter Vorgesetzter gewesen. Also glaubte er, sie ziemlich gut zu kennen. Idealistisch und ehrgeizig war sie und hochintelligent, was zur Folge hatte, dass sie sich leicht verrückt machte – jedenfalls schätzte er sie so ein. Auch war sie eine Einzelgängerin, was damit zusammenhängen könnte, dass sie als Halbiranerin in ihrer Kindheit wegen ihrer Herkunft verspottet worden war – allerdings nur bis zur Pubertät. Danach fragte niemand mehr, wo ihre Mutter herkam. Nun war es ihre Schönheit, durch sie sich von ihren Mitschülern abhob.
Auf der anderen Seite meinte er, dass Daria ihn nicht wirklich kannte. Schließlich hatte sie keinen Zugang zu seiner Personalakte. Und als ihr Boss hatte er sich als regeltreuer, asexueller, analytisch denkender Mensch präsentiert, der immer pünktlich war, kaum trank, absolut aufrichtig mit seinen Leuten umging und von ganzem Herzen an die Missionen glaubte, in die er sie schickte. Persönlich hatten sie sich nur ein paar Mal im Monat getroffen, jeweils für eine Stunde, so war es ziemlich leicht gewesen, diese Fiktion aufrechtzuerhalten.
Jetzt fragte er sich, ob seine professionelle Fassade sie davon abhielt, ihm alles zu erzählen. Oder lief da etwas anderes ab?
»Ist im Gefängnis irgendetwas passiert, worüber du reden willst?«
»Nein.«
»
Nein
, nichts ist passiert, oder
nein
, du willst nicht darüber reden?«
»Zuerst haben sie mich rumgeschubst, aber nachdem du dann letzte Nacht da warst, hat das aufgehört.«
Sie schnitt sich noch eine Haarsträhne ab, die zu den anderen ins Becken fiel.
»Kanntest du einen der anderen Operations Officers gut?«
Mark bezweifelte das. In Baku hatte man wegen Sicherheitsbedenken die Interaktionen unter dem CIA-Personal eingeschränkt, besonders bei den Inoffiziellen.
»Gut genug.«
»Ist es das, was dich bedrückt?«
»Bedrückt dich das alles nicht? Ich meine, die komplette Station wurde ausgelöscht. Bist du kein Mensch?«
Er wog ihre Reaktion auf seine Frage ab: Sie sah ihm direkt in die Augen, berührte weder Hals noch Gesicht, ihre Miene wirkte aufrichtig. Aber Daria kannte die offensichtlichen Signale für eine Lüge so gut wie er. Dass sie keines zeigte, sagte nichts.
»Ich versuche nur, dem auf den Grund zu gehen, Daria.« Schlichen sich da gerade Kaufmans Zweifel an ihr bei ihm ein? Machte er aus einer Mücke einen Elefanten?
Oder war er ein Volltrottel gewesen, dass er ihr überhaupt getraut hatte?
Weil es nämlich einen Grund geben musste, warum Jack Campbell, wenige Stunden vor seinem Tod durch Kopfschuss, Daria als Dolmetscherin angefordert hatte.
Schweigend standen sie da, Mark schaute Daria an und Daria ihr Spiegelbild, bis Mark etwas herausrutschte, was er nicht hatte sagen wollen.
»Pass auf, Daria, ich weiß, wie das System funktioniert. Es kann leicht passieren, dass man sich übernimmt.« Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung, wie sie hereingestürmt kam, neunundzwanzigJahre alt, wild darauf, für die gute Sache zu kämpfen, nach drei Jahren Schreibtischjob als CIA-Analytikerin. Ihren Enthusiasmus fand er zwar naiv, aber erfrischend. Doch jetzt überlegte er, ob ihre Begeisterung sie dazu gebracht hatte, Dinge zu tun, die sie besser gelassen hätte. »Ich hab das selber durchgemacht. Ich bin nicht perfekt.«
Ein paar Sekunden lang war nur das Tropfen des Wasserhahns zu hören.
Schließlich fügte Mark hinzu: »Ich mag dich, Daria. Ich möchte dir helfen.«
Im Grunde sagte er die Wahrheit, aber seine Stimme klang herablassend und sogar in seinen Ohren falsch.
»Du hilfst mir bereits, Mark«, erwiderte sie mit gezwungener Höflichkeit. »Nochmal danke, dass du mich rausgeholt hast.«
»Alles, was du mir sagst, bleibt unter uns.«
Einen Augenblick lang wurden ihre Züge weich, als würde sie tatsächlich erwägen, sich ihm anzuvertrauen. Aber dann wandte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher