Der Fehler des Colonels
wieder ihrem Haar zu und den finsteren Gedanken, die an ihr zehren mochten.
24
Duke University, vierzehn Jahre zuvor
»Miss? Hallo, Miss? Nur einen Moment?«
Misstrauisch beäugte Daria den kleinen Mann, der auf sie zukam. Auf den ersten Blick hatte er nichts Beunruhigendes an sich – er war glatt rasiert und trug eine zerknitterte helle Hose und einen schlecht sitzenden braunen Blazer. Vielleicht ein Professor, dachte sie, als sie die Lachfältchen um seine Augen sah. Aber die Aufdringlichkeit seines Lächelns machte sie stutzig.
»Miss, ich entschuldige mich für die Störung. Wenn ich nur eine Minute Ihrer Zeit beanspruchen dürfte.«
Er drückte sich übertrieben förmlich aus.
»Leider bin ich in Eile.«
»Es geht um eine Angelegenheit, die für Sie von größter Wichtigkeit ist.«
Sie war unterwegs zu einer Freundin in der Alspaugh Hall. Die zarten Blätter der Weideneiche neben dem Weg leuchteten frühlingsgrün. Am wolkenlosen Himmel schien die Nachmittagssonne. In der Nähe lagen Studienkollegen lesend auf dem Rasen. Die Situation erschien ihr ungefährlich.
Also blieb sie stehen. »Okay … Warum starren Sie mich so an?«
»Sie erinnern mich an jemanden, den ich lange Zeit nicht gesehen habe.«
»Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Ich heiße Reza Tehrani.«
Ein iranischer Name. Was erklärte, warum seine Haut hellbraun war wie die ihre.
Tehrani öffnete den Reißverschluss einer Ledermappe und holte ein verblasstes Farbfoto heraus. »Das ist die Frau, an die Sie mich erinnern, meine Liebe. Das bin ich neben ihr – über dreißig Jahre ist das her.«
Daria sah, dass Tehranis Hand zitterte. Sie drückte ihr Biologiebuch ein wenig fester an die Brust.
»Bitte, nehmen Sie es.«
Zögernd, aber neugierig griff Daria nach dem Foto. Die zierliche Frau in dem hellgrünen Sommerkleid sah ein wenig aus wie sie selbst.
»Wer ist sie?«
»Das, meine Liebe …« Tehrani hielt einen Moment inne. »Das ist Ihre Mutter.«
»Ach, da täuschen Sie sich. Das ist nicht meine Mutter.«
»Ich weiß, das ist ein Schock für Sie …«
»Ich sagte, das ist nicht meine Mutter.«
»Wenn ich eine andere Möglichkeit wüsste …«
»Ich habe es wirklich eilig.«
»Sie haben ihre Augen, ihr Haar, ihre Nase, ihre Haut.« Tehrani traten Tränen in die Augen. »Sie starb, als Sie noch klein waren. Sie haben sie nie …«
»Sie irren sich. Ich habe eine Mutter. Sie lebt mit meinem Vater in Genf.«
»Sie sprechen von der freundlichen Dame, die Sie aufgezogen hat. Und zwar gut aufgezogen, wie ich sehe. Aber die Frau, die Ihnen das Leben geschenkt hat, ist die Frau auf diesem Foto.«
»Sind Sie verrückt?«
»Schauen Sie sie an. Sie hat große Ähnlichkeit mit Ihnen, meine Liebe. Sie müssen es erfahren.«
»Ich muss Sie bitten, zu gehen.«
Sie versuchte ihm das Foto zurückzugeben, aber er wollte es nicht nehmen.
»Die Menschen, die Sie aufgezogen haben …«
»Ich gehe jetzt …«
»… haben Sie adoptiert, als Sie noch ein Baby waren. Jetzt sind Sie alt genug, um die Wahrheit zu erfahren. Ich habe so lange gewartet.«
»Ich sagte, gehen Sie!«
Daria setzte sich in Bewegung.
»Ich bin dein Onkel, mein Kind! Der jüngere Bruder deiner Mutter. Ich will dir nichts Böses.«
Sie fing an zu laufen.
»Meine Telefonnummer, ich habe sie hinten auf das Foto geschrieben!«
»Lassen Sie mich verdammt noch mal in Ruhe oder ich rufe die Polizei!«
»Erinnern dich diese Leute an jemanden?«
Daria stand im Wohnheimzimmer ihrer Freundin. Durch das Fenster sah sie den Rasen draußen vor der Alspaugh Hall, aber der Mann, der sie angesprochen hatte, war nicht mehr da. Sie legte das alte Foto, das er ihr gegeben hatte, auf den Schreibtisch ihrer Freundin.
»Julie meint, ihr Bruder bringt uns heute Abend Zutaten für Margaritas mit. Können wir deinen Mixer benutzen?«
»Klar.«
»Mensch, du bist ja ganz verschwitzt. Bist du den ganzen Weg gerannt?«
Daria war tatsächlich gerannt. Bis hierher in den zweiten Stock. »Sieh dir mal die Frau auf dem Foto an. Mit wem hat sie Ähnlichkeit?«
»Eine Sekunde, ich bin gleich fertig.« Darias Freundin tippte noch ein paar Wörter in ihren Computer, dann warf sie einen Blick auf das Bild. »Ich besorge auch gefrorene Erdbeeren. Bist du das?«
25
Mark stattete Decker in seinem Zimmer am Ende des Korridors einen Besuch ab.
Decker faulenzte auf einem der zwei schmalen Betten, das sich unter seinem Gewicht bog. Mit einer Hand zappte er durch die
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