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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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tat ihr leid, aber sie wollte nicht zurück. Heute
nicht. An der Tür hörte sie seine Stimme. »Fahren wir morgen weg, Bärbel?«
    »Kannst mich abholen.«
    Dann ging sie. Er sagte nichts mehr,
blieb sitzen, mit heruntergesacktem Kopf, und dachte nach.
    Barbara war fünfunddreißig Minuten
später in ihrem Zimmer. Auf dem Tisch lag ein gelbes Kurvert. Sie riß das
Telegramm auf. Es waren nur zwei Streifen mit den groben Buchstaben und den
Kreuzen dazwischen.
    »Brauche dich dringend. Erwarte dich
morgen. Gruß Vater.«
     
     
     

V
     
    Der einsame Mann lächelte über den
Schreibtisch hin. Niemand war da. Er lächelte das Telefon an. Ein verläßliches
Gerät. Über der Sprechmuschel saß eine flache Walze aus Leichtmetall mit
durchbrochener Oberfläche. Ein zweiter Draht führte dahin.
    Ganz einfach und sinnreich, leicht
abzunehmen und anzubringen. Das Ding verzerrte und veränderte die Stimme am
Telefon, daß die eigene Mutter sie nicht erkannt hätte. Irgendein moderner Kram
mit Transistoren und solchem Zeug, aber sehr nützlich in seinem Fall. Früher
hatte man krächzen müssen wie ein schwindsüchtiger Rabe und war doch erkannt
worden.
    Der Mann nahm den Hörer ab und wählte.
Er wartete geduldig, bis die Stimme kam.
    »Ja.«
    »Johann Jakob«, sagte der Einsame
fröhlich. »Bist du es ganz leibhaftig?«
    »Ja, Meisterchen«, sagte der Feigling.
    »Fein, fein. Wie geht’s
gesundheitlich?«
    »Kleiner Restspiegel.«
    »Jaja, bei mir auch. Der Fusel wird
immer schlechter. Hm
    — was ich sagen wollte —, deine Barbara
ist ein liebes Kind
    — wirklich ein liebes Kind.«
    Der Feigling wartete.
    »Ja. Habe sie betrachtet und einiges
gehört. Ein brauchbares Mädchen, in der Tat. Hat nichts zu tun mit feindlichen
Indianern. Man sollte trotzdem vorsichtig sein.«
    »Das sollte man.«
    »Doch. Denke da an die Story mit Gustav
seiner Millie. Das war aber ärgerlich.«
    »Das war es«, sagte der Feigling.
    »Hm. Na, sie wird wohl nicht immer zum
Frühschoppen kommen, wie?«
    »Glaub nicht. War nicht sehr
begeistert.«
    »Verständlich, verständlich.« Der
einsame Mann murmelte, sah aus dem Fenster. »Alte Leute, Schnaps, Gegröle —
nichts für junges Blut. Scheußliches Milieu. Sag mal, Jakob... willst du sie
heiraten?«
    Von drüben kam kein Geräusch. Der
Feigling schien nicht zu atmen. Der Einsame wartete, lächelte, bewegte sich
nicht.
    »Ich weiß nicht, Meisterchen —
eigentlich nicht —, aber — «
    »Aber möglich wäre es, wie?«
    »Möglich wäre es.«
    Der Meister nickte vor sich hin. Er
wechselte den Hörer um an das linke Ohr. Seine Hand ergriff einen Bleistift,
malte auf einem Block herum. »Natürlich, natürlich, Jakob. Habe auch schon
daran gedacht, endlich in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Ordnung. Häuslichkeit.
Regelmäßige Mahlzeiten. Frohes Kinderlachen. Weihnachten im Schoße der Familie.
Andere Steuergruppe. Alles ausgezeichnet.«
    Er hörte auf zu sprechen.
    Der Feigling schwieg.
    »Tja«, sagte der Einsame nach einer
Weile. »Alles wunderbar. Nur — wir haben noch was zu tun, Jakob.«
    »Ja.«
    »Wir müssen erst fertig werden, und —
das kann noch lange dauern, Jakob. Sehr lange.«
    »Ja.«
    »Hm. Ich sage es nur für den Fall, daß
sie — ungeduldig werden sollte. Mädchen haben oft komische Vorstellungen.
Ungeheuer komische. Wollen an den eigenen Herd, weg von Mama, wissen, wo man
hingehört, Sicherheit zuerst und so weiter.«
    »Richtig«, sagte der Feigling.
    »Ja. Sonderbares Geschlecht, das. Weißt
du — wenn wir fertig sind, dann — dann wäre es möglich, daß unser Verein
aufgelöst wird —, vorzeitiger Ruhestand sozusagen — Sind ja nicht mehr die
Jüngsten, leider nicht — alt —, Gicht in den Knochen — ja —, Hämorrhoiden —
ungeheuer lästig, das. Dann kann jeder seinen Leichnam in die Sonne legen und
auf die Rente warten — ich sehne mich auch jeden Tag nach einem Häuschen mit
vielen Büchern im Schrank und vielen Flaschen im Keller — Legionen von Flaschen
—, ja. Aber bis dahin müssen wir — leider —, verstehst du?«
    »Vollkommen. Keine Sorge.«
    »Ich weiß, Jakob. Wollte dich nur
erinnern — bei der Gelegenheit —, ja. Sonst ist nichts weiter. Pfleg deinen
Restspiegel. Wiederhören, mein Lieber. Wiederhören. Wiederhören.«
    »Wiederhören«, sagte der Feigling.
    Der Mann legte den Hörer behutsam
zurück. Er sah aus dem Fenster in die Sonne, dann hinunter auf den Schreibblock
vor sich. Er hatte einen großen Sarg gemalt mit einem

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