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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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kam. Alle tranken. Danach
war Barbaras Entschluß gefaßt. Sie zog den Feigling zur Tür.
    »Greis — ich will jetzt gehen!«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Er sah sie wieder so traurig an, wie
schon oft.
    »Kommst du mit?«
    »Ich — ich kann nicht, Bärbel...«
    »Gut. Wiedersehen.«
    Er versuchte sie festzuhalten mit
schlaffen Fingern. »Bärbel — bitte —, geh zu mir — warte auf mich —, bitte!«
    Sie zögerte, wollte sich weigern. Ach
was, er war blau. »Gut. Schlüssel her.«
    Er gab ihr den Ring mit den Schlüsseln.
    »Der vom Auto dran?«
    »Ja.«
    »Dein Glück.«
    Sie wollte es kurz machen. Sie trat in
die Mitte, winkte mit den Händen nach allen Seiten. »Wiedersehen! Auf
Wiedersehen! Vielen Dank, Herr Wirt! Es war großartig. Viel Spaß noch.«
    Ein vielstimmiger Chor brüllte hinter
ihr her. Sie war durch die Tür, bevor einer sie aufhalten konnte. Mit einem
letzten Blick sah sie den alten Doktor am Tisch. Er schien immer noch zu
träumen, aber durch einen Lidspalt sahen seine halb erloschenen Augen zu ihr
hin.
    Der Feigling kam zwei Stunden später.
Barbara machte ihm auf. Er roch widerwärtig nach Alkohol. Seine Augen glänzten
trüb wie die des Anwalts in der Kneipe. Das Gesicht war älter, zerflossen,
auseinandergelaufen, mit roten Flecken. Seine Krawatte war verschoben, das Hemd
stand offen am Hals. Er atmete schwer, und bei jedem Atemzug vermehrte sich der
Gestank.
    Sie wandte sich ab. »So — nun kann ich
ja gehen.«
    Er blieb vor ihr stehen, aber er faßte
sie nicht an. »Bärbel — noch ein bißchen —, gleich kannst du fort — will dir
nur sagen...«
    »Was gibt es da noch zu sagen?
Betrunken bist du. Wirklich, ein phantastischer Anblick, Herr Doktor!«
    »Bärbel — es war doch nur der Frühsch....«,
er schluckte, hustete neue Dunstwellen aus.
    Sie ging ins Zimmer und wartete, bis er
saß.
    »Ja. Es war nur der Frühschoppen. Die
schöne Kneipe. Dreck, Qualm und schmierige Gläser.«
    »Aber — meine Kumpels — die sind doch...«
    »Reizende Leute. Der schlampige Wirt,
bei dem die Gäste trinken müssen, was er will. Zahmeis, der nachgemachte
Napoleon, mit der Irrenanstalt im Hintergrund. Der Fuchs, dieses Abziehbild,
mit dem Dialekt vom Wedding und den Witzen von 1950. Euer Kronanwalt, der seine
Plädoyers an der Theke hält und wahrscheinlich meistens besoffener ist als die
Leute, die er wegen Besoffenheit am Steuer verteidigen soll.«
    »Richtig«, murmelte der Feigling mit
schwerer Zunge.
    »Klar. Und dieser Schulz! Schiller und
ein dreckiges Hemd. Don Carlos mit Bauch und Plattfüßen und billigen Stumpen im
Rachen. Der einzig Erträgliche ist noch der Tattergreis von Meise. Wenn er auch
spinnt und über seinen eigenen Kalk stolpert. Die Welt am Sonnabend.
Wunderbar.«
    Der Feigling öffnete seine Augen etwas
weiter. Es schien ihn anzustrengen. »Die Welt am Sonnabend.« Er murmelte wie
vorher. Die Silben kamen einzeln. »Hm. Jeder hat seine. Deine ist vielleicht anders.
Besser — weiß nicht. Weiß nicht.«
    »Tauschen möchte ich nicht.«
    Er sprach vor sich hin, als hätte er
nichts gehört. »Jazzkeller mit Bartjünglingen.«
    »Sympathischer als euer Altersheim.«
    »Hm. Brauseflasche in der Hand.
Hemingway in der hinteren Hosentasche. Vorträge über Existentialismus, wo alles
mit offenem Maul lauscht und keiner was versteht.« .
    »Mehr als deine Busenfreunde
garantiert.«
    Der Feigling lächelte. »Ist auch keine
Kunst. Nur — hä — verfluchter Schnapsgeschmack —, sie tun wenigstens nicht so.
Sie tragen auch keine Kettchen um die Knöchel und Kreuzchen auf der Brust. Sie
markieren nicht Marlon Dean und James Brando...«
    »Marlon Marlon.«
    »Ach so. Verzeihung. Ja. Das machen sie
alles nicht. Alles nicht.«
    Barbara stand auf. »Nein. Das machen sie
alles nicht. Sie benehmen sich nur mit ihren vierzig und mehr Jahren noch wie
Pubertäter. Rumstehen, saufen, blöde reden. Bei den Jungen geht’s vorbei. Bei
euch nicht. Und nun schlaf gut.«
    Er riß die Augen ganz auf. »Du willst
fort?«
    »Du sagst es.«
    Er wollte hochkommen. Es gelang ihm
nicht. »Bärbel — bleib bei mir! Geh nicht weg.«
    »Nein, mein Guter. Schlaf tut dir
bestimmt gut. Und wenn es dir zu langweilig wird, gehst du einfach zurück. In
die gemütliche Kneipe, zu wackeren Leuten.«
    »Bärbelchen — bitte —, nicht weggehen...«
    »Doch. Sehr unterhaltsam bist du nicht.
Und Schnaps habe ich heute früh genug gerochen. Tschüs.«
    Er blieb sitzen. Sein verschwommenes
Gesicht war todtraurig. Es

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