Der Feigling
alles wissen. Wer von ihnen war es. Er
selbst war es nicht. Nur das wußte er mit Sicherheit. Es hatte nicht viel Sinn,
darüber nachzudenken. Außerdem gehörte es zu den Satzungen des Vereins, sich
nicht um den Chef zu kümmern. Niemand brauchte vom anderen mehr zu wissen, als
unbedingt nötig war. Oder es konnte ihm gehen wie Willy.
Er telefonierte mit uns, dachte Jakob.
Andauernd. Kein Mensch hier hat so eine Stimme. Wie macht er das?
Der Feigling schüttelte sich, trank
sein Bier aus und ging hinaus zur Toilette. Hinter ihm knarrte die Tür noch
einmal. Walter Schulz.
»Wer ist die?« fragte er neben ihm.
»Bekannte.«
»Findest du es gut, sie herzubringen?«
»Meisterchen wollte sie sehen.«
»Hm.«
Am Waschbecken fragte Walter: »Willy?«
»Gestrichen«, sagte der Feigling.
»Verdammt!«
Sie gingen zurück ins Lokal.
Barbara stand wieder an der Musikbox
und suchte Platten. Meise stand allein am Tisch und träumte. Der Feigling ging
zu Barbara. »Findest du was Richtiges?«
»Ich schon.«
»Gefällt dir’s hier?«
»Nein.«
Er nickte vor sich hin und ging zur
Theke. »Bier und zwei große, Fritz.«
Carls schlug ihm auf die Schulter.
Seine Iltisaugen blinkerten.
»Sehr beachtlich, sehr beachtlich.
Hätte gar nicht gedacht, daß du so was schaffst. Als Hochzeitsgeschenk darf ich
das Honorar für die Scheidung überreichen.«
Fuchs kicherte. »Auf die kalte Art hat
er sein Geld immer noch wiedergekriegt.«
»Behalt es gleich«, antwortete der
Feigling.
»Wohl gesprochen«, sagte Schulz.
»Heiraten sollten nur rüstige Persönlichkeiten.«
»Heiraten!« Der Wirt lachte kurz und
trocken. »Mei! Eher tat ich in den Abort springen und abziehen. Verreckt und
Kaffeehaus!«
Der Schnaps plätscherte in die Gläser.
Der Feigling sah erschrocken zu Barbara
hinüber. Sie schien nichts gehört zu haben. Im gleichen Augenblick setzte die
Musik ein mit »Hallo, Mary Lou«. Gottlob, eine Geräuschkulisse.
Barbara kam zur Theke. Sie nahm das
Schnapsglas und trank. Das Zeug schüttelte sie wieder, aber es milderte den
Eindruck der Kneipe und ihrer Insassen. Dem alten Doktor hatte sie erzählt, wer
sie wäre und wie sie Jakob Hase kennengelernt habe. Auch sie hatte einiges
erfahren. Die ganze Bande kam nur am Sonnabend hier zusammen, sonst erschienen
sie einzeln und unregelmäßig. Der Greis war nicht oft hier, höchstens einmal in
der Woche. Nur Schulz trank jeden Abend seine Biere, und der verrückte Zahmeis
schien mehr Zeit hier zu verbringen als in seinem Duftladen. Dafür war kein
anderer Gast gekommen, solange sie im Lokal war.
Die Musikbox kreischte mit der nächsten
Platte. Ringsum wurde mehr und schneller getrunken. Der Qualm wurde dichter.
Schulz’ Zigarre glühte wie ein Hochofen. Er wiegte sich im Takt auf seinen
Plattfußlatschen.
Jakob trank still in sich hinein. Der
Wirt stand unbeweglich, mit funkelnder Brille.
»Greis«, sagte Barbara. »Willst du noch
fahren, wenn du so weitersäufst?«
Er schüttelte schwach den Kopf. »Nein.
Bleibt stehen. Bleibt immer stehen am Sonnabend. Ist es nicht anders gewohnt.
Ist schon M-Moos an den Rädern hochgewachsen.«
»Bleibst du noch lange?«
»Ich lasse die Kameraden nicht im
Stich.«
»Wohl! Wohl gesprochen, Freund!« Schulz
übertönte den Krach der Musik. »Laßt Greise und Weiber zagen! Zeus ist
gerecht!« Er wechselte über zu Wallenstein und umarmte den Greis. »Oh, sieh da,
Butler! Das ist noch ein Freund! Komm an mein Herz, du alter Kriegsgefährte!
Der Alte hat dem Kaiser mich verraten. Was sagst du?«
»Es ist eine unsägliche Schweinerei«,
sagte der Greis. »In einem Feldbett haben wir geschlafen — aus einem Glas
getrunken —«
Das sieht man!« Es war Barbara. Schulz
ließ den Greis los. Langsam wandte er sich nach ihr um. Sein Gesicht verhieß
nichts Gutes. Aber er kam nicht zum Sprechen.
Barbara sank an sein Hemd und hielt
sich an den Jackenaufschlägen fest. Ihre Stimme bebte vor Ergriffenheit. »...
einen Bissen geteilt; ich stützte mich auf ihn, wie ich auf deine treue
Schulter jetzt mich stütze, in dem Augenblick, da liebevoll vertrauend meine
Brust an seiner schlägt —«
Der Statiker blickte milder. Er legte
einen Arm um das Mädchen, schwenkte die Zigarre mit dem anderen. »Ersieht er
sich den Vorteil, sticht das Messer mir listig lauernd, langsam in das Herz!«
Er ließ sie los. »Nun — sie kann
wenigsten ihren Schiller! Wenn sie auch erst neunzehn ist. Ihr sei verziehen!
Fritz — eine Runde!«
Der Schnaps
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