Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
Erschüttert? Kleine
Herrenpartie, weiter nichts. Wanderstab, Feldflasche mit vier Sternen und ein
frisches Lied auf den Lippen. ›Ja, die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit!‹«
    Sie hatte sich wieder in der Gewalt.
Sie nahm eine neue Zigarette.
    »Macht ihr das oft?«
    »Eigentlich nicht. Manchmal nur einmal
im Jahr, zweimal, je nach Laune und Wetter. Meistens zu Himmelfahrt, wie sich’s
gehört, aber diesmal hat’s nicht geklappt. Sonst wären wir schon am elften
losgezogen.«
    »Kommen alle mit?«
    »Weiß nicht. Friedrich bestimmt nicht,
weil der seinen Saftladen betreiben und Kopeken verdienen muß. Der alte Meise
wird noch nicht wieder hoch sein. Bei Zahmeis ist es fraglich, der hat was
gegen Wanderungen. Wir müßten ihn sowieso auf einer Bahre heimschleifen. Die
anderen werden schon mitkommen.«
    Sie war plötzlich bei ihm, auf der
Lehne des Sessels.
    »Greis... ich hab’ mich so gefreut.
Geht es wirklich nicht?«
    »Es geht wirklich nicht, Bärbelchen«,
sagte er leise. Er küßte sie sanft, es war nicht einfach mit dem Fleischkloß im
Gesicht. Ihr Haar knisterte. »Hast du ein anderes Parfüm?«
    Sie wich etwas zurück. Es war die
Mixtur des besoffenen Zahmeis auf ihrer Haut. »Ich weiß nicht. Kann sein.
Manchmal wechsle ich.«
    »Hm.« Er schnupperte an ihr herum. »Kam
mir so fremd vor. Vielleicht macht’s das Tatar.«
    »Mußt du unbedingt am Dienstag? Wird
doch nur eine Riesensauferei, wie immer bei euch!«
    »Ich muß mit. Kameraden darf man nicht
im Stich lassen, du weißt es.«
    »Ach was, Kameraden! Dich haben sie
auch im Stich gelassen, als die Keilerei mit Jens war! Keiner hat dir geholfen!
Gefreut haben sie sich noch!«
    Er zupfte sie an der Nase. »Die
Geschichte ging nur Jens und mich an. Boxen ist eine Sache für zwei. Außerdem
sind sie alle genauso gebrechlich wie ich. Keine Luft, keine Kraft. Jens hätte
auch sie noch verdroschen. Denk an die Kosten fürs Tatar.«
    Auf einmal preßte sie sich an ihn,
hastig, unvorhergesehen, er spürte ihren Atem an seinem Ohr, sein Hals war ganz
verbogen. »Ach, Greislein! Bleib doch da!«
    Wieder beschlich ihn das Gefühl, sie
könnte etwas ahnen oder wissen, Frauen waren manchmal näher an der Wahrheit als
der beste Agent. Behutsam schob er sie von sich und sah sie an.
    »Ihr seid doch komische Wesen, ihr
Weiber! Am Dienstag bist du wutentbrannt davongestürzt wie Elisabeth nach ihrem
Krach mit Maria Stuart. Gestern hast du mir Prügel gegönnt wie keinem zweiten
auf der nördlichen Halbkugel. Und heute tust du, als gingen wir in Shorts und
Sandalen auf eine Südpolexpedition, um Amundsen zu besuchen! Was ist denn schon
an der Landpartie? Mittwoch bin ich daheim, dann holen wir unseren Abend nach,
und am Sonnabend kommst du wieder mit zu Friedrich, dem Großen. In Ordnung?»
    »Wohin fahrt ihr?« Ihre Stimme klang
kläglich.
    »Keine Ahnung.« Er sagte die Wahrheit.
»Wird erst noch beschlossen vom Aufsichtsrat. Du harrst als sorgende Witwe am
häuslichen Feuer, und wenn ich auferstanden bin von den Besoffenen, windest du
mir Blüten ums schlachtgehärtete Haupt und gießt den Balsam deiner Zuneigung in
meine Wunden. Machst du das?«
    Beide wußten sie, daß sich hinter den
hingeworfenen Worten etwas verbarg, keiner sprach es aus, jeder lächelte den
anderen an. Er nahm vorsichtig die Hand vom Auge. Das Tatarpflaster hielt von
selbst.
    Barbara lachte. »Wie ein Monokel! Fehlt
nur die Schnur!«
    »Zerbrechen kann es kaum.«
    Sie küßte ihn wieder. Sie hätte bei ihm
bleiben können, die ganze Nacht. Sie wollte nicht. Es würde nur schlimmer sein,
morgen früh fortzugehen. Lieber gleich. So ein dummes, kindisches Gefühl, als
müßte sie auf ewig Abschied nehmen, alles Unsinn. Halluzinationen des alten
Mannes und ihre eigenen. Vertrauen sollte sie haben, hatte er gesagt. Er hatte
recht. Es würde weniger hinter der ganzen Geschichte stecken, als sie sich
einbildete. Es mußte wohl daran liegen, daß sie den Greis liebte, diesen Jakob
Hase mit dem blauen Auge. Sie stand schnell auf.
    »Ich muß nach Hause.«
    »Du mußt nach Hause«, wiederholte er.
    Vor der Korridortür blieben sie stehen.
Sie zog ihren Mantel an, der Feigling half mit einer Hand. Sie strich über sein
Gesicht. »Greis... wenn du zurück bist... rufst du mich gleich an?«
    »Ich rufe dich gleich an.«
    Die Furcht kam wieder, wie eine
lähmende Droge. »Wenn doch schon Mittwoch wäre!«
    »Es wird Mittwoch«, sagte er leise. »Es
kann gar nicht anders als Mittwoch werden. Es ist

Weitere Kostenlose Bücher