Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Entstandene zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen und zu versuchen, es in das, was wir vom Inneren wissen, einzuordnen und die Bilder aufzubewahren. Dafür biete ich oft eine Mappe in meinem Zimmer an, damit wir bei späteren therapeutischen Sitzungen, wenn es einen Zusammenhang gibt, diese Bilder hinzunehmen können.
MH: Gibt es keinerlei Einschränkungen für das Anleiten zum Malen?
RS: Doch, natürlich. Auch nicht kunsttherapeutisch ausgebildeten KollegInnen würde ich raten, die kreative Seite ihrer PatientInnen über das Malen von Bildern auf jeden Fall mit einzubeziehen, jedoch Strukturierungshilfen zu geben und keinesfalls dazu aufzufordern, unkontrolliert alles „herauszumalen“. Denn das könnte dazu führen, dass die jeweilige KollegIn die PatientIn mit der entstehenden Fülle an traumaassoziiertem Material vielleicht nicht mehr angemessen begleiten kann.
MH: Apropos begleiten: Wie kannst du den therapeutischen Prozess mit kunsttherapeutischen Mitteln lenken?
RS: Bilder können den therapeutischen Prozess erleichtern und intensivieren, z. B. im Hinblick auf die so wesentlichen Aspekte der Personifikation („Das bin alles Ich!“) und der zeitlichen Zuordnungen („Ach, das ist damals passiert und eigentlich ist das nur von dann bis dann passiert, auch wenn ich manchmal denke, es ist nie vorbei.“). So sind Abbildungen von sich selbst als Kind gut dazu geeignet, den Unterschied zwischen damals und heute deutlicher spürbar zu machen.
MH: Du gibst ja auch Aufgaben, etwas zwischen den Therapiestunden zu gestalten. Was machst du, wenn es Verbote im Innern der PatientInnen gibt, sich zu äußern?
RS: Durch entsprechende Themenvorgaben für das Malen zwischen den Stunden kann ich verstärken, dass und wie wir uns in der Therapie auf etwas Bestimmtes fokussieren. Gleichzeitig beinhalten die Bilder oft auch Mitteilungen, die einzubeziehen vorher noch nicht möglich war. Ja, traumatisierte Menschen müssen sich fast immer mit Sprechverboten herumschlagen. Dann können über die Bilder Geschehnisse und Zusammenhänge gezeigt werden, ohne dass etwas „verraten“ oder ausgesprochen werden muss. Es gibt dann schon mal vorab eine Art gemeinsames Verstehen der Geschichte. Diese kann im weiteren Verlauf Stück für Stück, soweit es in entsprechenden Verhandlungen mit den Sprechverbots-Anteilen möglich wird, in Worte gefasst und somit gesamtpsychisch besser integriert werden.
MH: Also, um einmal ein Bibelzitat abzuwandeln: „Am Anfang war das Bild, erst dann kam das Wort“?
RS: So ist es. Eine Patientin sagte einmal: „Die Bilder waren vor den Worten da.“ Dieser Satz verdeutlicht gut, welche Chancen das Bildhafte für den therapeutischen Prozess hat. Anhand eines Bildes kann ich als Therapeutin selbst auch mal das Dargestellte aussprechen oder Fantasien dazu entwickeln und die PatientIn kann, an inneren Sprechverboten „vorbei“, durch Nicken oder Kopfschütteln diesen Prozess lenken. In dieser Weise können vorher gemalte Bilder sogar zum Deprogrammieren nützlich werden, also wenn es darum geht, in die PatientIn „hineingefolterte“ Automatismen („Ich muss das und das dann und dann immer tun, egal was ich selbst will.“) zu verändern. Dann können wir Codes für eine Veränderung in den Bildern unterbringen und auf diese hinweisen, ohne sie aussprechen zu müssen.
MH: Welche Vorschläge machst du häufig, wenn es um traumatisierte Menschen geht? Was hilft ihnen besonders, sich über ihre Innenwelt Klarheit zu verschaffen?
RS: Meine Vorschläge gehen immer in Richtung einer Strukturierung, da traumatisierte Menschen ja meistens von der Überflutung ihrer ängstigenden Innenwelt bedroht sind. Zunächst muss es darum gehen, Kontroll- und Distanzierungsmöglichkeiten vom traumatischen Material zu schaffen. In der Regel stehen die PatientInnen aber unter starkem Druck, etwas von diesem Material „loswerden“ zu wollen, und ich biete in solchen Fällen ein bipolares Arbeiten an: Ich schlage vor, dass das vor ihnen liegende Blatt in der Mitte geteilt wird oder dass sie zwei Blätter vor sich hin legen, von denen eins für Belastungsmaterial, das andere für ressourcenorientiertes Malen zur Entlastung und Distanzierung dient. Wenn ich beim Gestaltungsprozess anwesend bin, habe ich im Blick, dass die PatientInnen beim Gestalten innerhalb des „Toleranzfensters“ bleiben, d. h., dass der Stresspegel nicht unvertretbar hochgeht und korrigierende Erfahrungen möglich bleiben. Wenn sie es nicht
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