Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
mit der sie sich durch ihre schwierige Welt bewegen können; wenn es gut geht, finden wir gemeinsam den Weg heraus und dann werden sie uns irgendwann verlassen und zu Fuß bzw. mit anderen Menschen ihrer Wege gehen.
Dies ist eine so anspruchsvolle Arbeit, dass die Gesellschaft eigentlich äußerst dankbar dafür sein müsste. Doch die KollegInnen wissen, dass das nicht so ist.
Dennoch: Meine Ermutigung gilt beiden Seiten. Den so scheuen und gequälten Menschen: Trauen Sie sich, sich jemanden an die Seite zu holen, der nur Ihrem Wohl verpflichtet ist, und kämpfen sie dafür, dass Sie diese Möglichkeit auch bekommen. Und den KollegInnen: Trauen Sie sich, sich jemanden „aufzuladen“, der oder die nicht einfach ist, aber unterwegs. Und an beide: Gehen Sie zusammen durch dick und dünn, in guten und in schlechten Tagen. Es ist das Beste, was gequälten Menschen passieren kann, dass jemand für sie „da“ ist und sie begleitet. Natürlich gehört zu einer guten PsychotherapeutIn noch mehr: Handwerkszeug, Kompetenz. Die kann und muss man vorher, währenddessen und immer weiter im Leben erwerben, in eigener Psychotherapie, in zahlreichen Aus- und Fortbildungen und Supervisionen. Es wird uns ohnehin mit unseren KlientInnen oft so gehen: Der Weg entsteht, während wir ihn gehen. Wo nur Wüste zu sein scheint, wird ein Pfad sein, aber wir werden ihn erst entstehen lassen. Unser Proviant sind unsere fachlichen Kompetenzen, doch das Wesentliche sind wir selbst: Unsere Sinne, unsere Fähigkeit zu empfinden, sich einzulassen, mitzugehen und im richtigen Moment das Richtige vorsichtig anzubieten. Früher sprach man von „Herzensbildung“, die dazu notwendig ist. Vielleicht ist sie von allen Bildungsarten die wertvollste.
In dem von mir herausgegebenen Band „Viele sein“ (2011) haben viele Menschen, die selbst durch ihre Gewalterfahrungen zutiefst gequält und innerlich zerrissen waren, berichtet, was ihnen geholfen hat. Und die meisten sagten, sinngemäß: Dass da jemand war, der einfach nicht wegging. Dass da jemand ausgehalten hat und dabeigeblieben ist. Dass mich /uns eine gemocht hat, so wie ich, wie wir waren. Das war das Wichtigste.
Vergessen wir das nie. Beide nicht. KlientInnen sollten nicht aufgeben. Und TherapeutInnen schon überhaupt nicht, solange es immer weitergeht, hinaus aus der Wüste, der Namenlosigkeit; hin zum – ja, erst schmerzhaften – Fühlen und wieder (und besser) heraus. Das Abenteuer einer Therapie ist vor allem für jene die größte Herausforderung, in denen viel gemeine, entwertende, schuldbeladene und schamvolle Gedanken kreisen. Meist haben die Täter so mit ihnen gesprochen: „Du bist es nicht wert, du bist viel zu blöd, zu faul, zu schlecht, zu böse ..., als dass man dich mögen könnte.“ Und wir TherapeutInnen: Wir mögen sie. Es ist gar nicht so leicht, das als hilfloser und Rat suchender Mensch auszuhalten, „trotz allem“ gemocht zu werden – und nicht leicht, als BeraterIn, SeelsorgerIn, LehrerIn, PsychotherapeutIn ... das Echo aus der „dunklen Ecke da innen“ in dem verzweifelten Gegenüber auszuhalten.
Davon handelt dieses Buch: Von der Begegnung „trotz allem“. Es wird darum gehen, woher die abweisenden, die „bösen“ und andere Stimmen und Impulse kommen und die gleichgültigen und abgeschalteten und andere innere Zustände. Es wird darum gehen, was passieren kann, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen und wenn wir mit allem, wirklich allem umgehen, was dann kommt.
Der Weg durch die Wüste in Begleitung ist schwer, und er ist wirklich eine „Reise des Helden bzw. der Heldin“. Er ist einsam und zweisam, schrecklich und schön, furchterregend und tröstend, langwierig und aufregend. – Vielleicht ist es die abenteuerlichste Reise, die ein Mensch unternehmen kann.
2. Krieg im Alltag – und was wir tun sollten
Alle Menschen sind Brüder –
aber das waren auch Kain und Abel.
Hans Kasper
Befinden wir uns in den deutschsprachigen Ländern nun in einem Nachkriegs- oder in einem Vorkriegszustand? Wer „The German Angst“ überall auf der Welt beschrieben hört, muss sich das fragen. Die Deutschen gelten als auf geradezu hysterische Weise ängstlich. Sie haben Angst vor „le Waldsterben“, sie haben Angst vor der Atomkraft, sie haben Angst vor wirtschaftlichem Zusammenbruch, sie haben Angst vor der Verwicklung in neue Kriege und dem Zusammenbruch des Euroraums; sie haben Angst, dass ihre Kinder in Krippen zu seelischen Krüppeln heranwachsen,
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