Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Doch selbst nach diesen müssten für so viele junge Menschen, viele davon mindestens mit Realschulabschluss plus Berufsausbildung, wenn nicht mit Abitur und sogar Studienabschlüssen, Wege gefunden werden, sie so gezielt zu unterstützen, dass sie von ihren schweren frühen Wunden heilen und „produktive“ SteuerzahlerInnen werden, die weder immer wieder teure (z. B. Psychiatrie-)Klinikaufenthalte noch Arbeitslosengeld oder andere Transferleistungen benötigen; von den ersparten sozialen und Gesundheitskosten für ihre Kinder ganz zu schweigen. Und wenn man die horrenden Kosten für Strafmaßnahmen und Gefängnisaufenthalte sieht und wahrnimmt, wie wenig in der Prävention für die gefährdeten Kinder und Jugendlichen getan wird, kann man sich manchmal nur fragen, mit welcher Blindheit unsere Gesellschaft wohl geschlagen ist. Kann man oder will man die Zusammenhänge nicht erkennen?
1.4 Ein einsam-zweisamer Weg
Noch scheint das Tabu, in Familien, in sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu erkennen, dass frühes Eingreifen entscheidend ist, stärker zu sein; man reicht den gequälten Kindern nicht die Hand und treibt sie in ihre innere Einsamkeit. Kein Wunder, dass viele junge traumatisierte Menschen sich enttäuscht, frustriert oder noch gerade eben im Funktionsmodus in ihre „innere Wüste“ zurückziehen.
Sie daraus hervorzulocken muss jeden Versuch wert sein. Seien wir also der treue, namenlose „Klepper“ (Begleiter) für unsere scheue und verwirrte KlientIn in der Wüste; tragen wir sie ohne Murren sanft durch das schwere Gelände. Geben wir ihr Halt und Würde und Stolz und das Gefühl, im Zweifelsfall immer „alles im Griff“ und die Zügel in der Hand zu haben. Vermitteln wir ihr auf ganz dezente Art, dass sie nicht allein ist. Denn wenn sie aus ihrer Trance gelegentlich erwacht, wird sie merken, vielleicht erschreckt, dass sie abhängig ist von uns. Das wird ihr Angst machen: Wenn wir sie jetzt verlassen – dann wäre sie ganz allein in der Wüste und würde sich absolut verloren fühlen. Dann wird es Phasen in unserer Begegnung geben, in denen sie uns kritisch beäugt: Ob wir auch durchhalten, ob wir auch den Weg wissen, ob wir auch da bleiben, ob wir das alles auch können? Manche KlientInnen weigern sich auch ganz lange, die Abhängigkeit überhaupt wahrzunehmen: Da ist diese „Thera“, dieser „Shrink“, diese „Psycho-Tusse“ bzw. der „Psycho-Heini“, nichts wirklich Ernstzunehmendes. Man bleibt ohnehin einsam, ob man mit der / dem jetzt redet oder nicht ... KollegInnen, die geliebt werden wollen, sollten sich einen anderen Beruf suchen, denn oft zeigen uns unsere KlientInnen eher die kalte Schulter. Sie behandeln uns (und sich selbst) nicht selten so, wie ihre Eltern sie behandelt haben: kalt, verächtlich, zynisch, abwertend. Ganz besonders die Jungs. Gefühle? „Alles fit im Schritt oder was?“ Nur ja nicht. „Das einzige Gefühl, das ein Mann in unserer Gesellschaft benennen darf, ist – Durst“, habe ich einmal einen Kollegen sagen hören, der mit männlichen Spielsüchtigen arbeitet. Viele Betroffene sind so misstrauisch. Andere nur in manchen Teilen ihrer Persönlichkeit, während andere Bereiche in ihnen – dazu gehört meist auch die Alltagspersönlichkeit – höflich, freundlich, liebenswürdig dankbar, wenn wir es nicht verhindern, sogar versorgend sind. Sie bemühen sich, nicht unangenehm für uns zu sein, nicht aufdringlich; sie sind pünktlich, halten alle Vereinbarungen ein – alles in dem Bemühen, nur ja die Kontrolle über die Situation zu behalten. Nur die „kleinen und bedürftigen“ bzw. die „komischen anderen Seiten“ in ihnen torpedieren manchmal den guten Willen. Und wir traben dann brav weiter mit ihnen durch die Wüste, nicken und tragen, sind anspruchslos und auf eine basale Art freundlich und ermutigend „da“. Jedenfalls sollte es so sein, wenn wir unsere Arbeit wirklich ernst nehmen.
Wir, das sind die KollegInnen, die als LehrerInnen, ErzieherInnen, BeraterInnen, PfarrerInnen, PsychotherapeutInnen sich dieser Menschen annehmen, die so in Not sind, dass sie ohne uns aus der Wüste nicht herausfinden könnten, und gleichzeitig so bindungsgeschädigt, dass sie noch keine reife private Lebensbeziehung eingehen können. Unsere KlientInnen haben keine Lobby, also sind wir das. Mit unserem freundlichen „Mögen“, mit der Art, wie wir sie fraglos annehmen und mit unseren Möglichkeiten unterstützen, geben wir ihnen eine Basis,
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