Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
September 2001 sind dort weit über 250 000 Menschen erschossen worden (Stand Juli 2012). Krankenschwester Mary Kershner, die selbst Angehörige durch Waffengewalt verloren hat, kommentiert: „So viele Tote durch Terroristen würden die USA erst gar nicht zulassen. Amerika würde ein Sondergesetz nach dem anderen zur Terrorbekämpfung verabschieden. Der Feind käme von außen und wäre schnell ausgemacht. Den heutigen Feind von innen erkennen die meisten nicht. Sie sehen ihn gar nicht als Feind an“ ( Stern , Nr. 31 / 2012, S. 3). „Was soll sich auch ändern in einem Land, in dem Jugendliche mit dem Selbstverständnis aufwachsen, dass sie sich mit 20 vielleicht wieder aus dem Leben verabschieden müssen, mit einer Kugel im Kopf“ (ebd., S. 44). Bereits seit vielen Jahren kämpft Kershner mit ihrer Gruppe „Krankenschwestern für mehr Waffensicherheit“ noch nicht einmal für ein generelles Waffenverbot, sondern nur für ein Gesetz, das Eltern verpflichtet, die Waffen vor den Kindern wegzusperren. Vergeblich, die Waffenlobby ist zu stark. – Und übrigens: Nicht wenige der Waffen stammen aus Deutschland. Amerika, du hast es besser? Wohl kaum: „Wird auf der Welt ein Kind unter 15 Jahren erschossen, geschieht es mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 % in den USA“, haben Stern-Reporter recherchiert (ebd., S. 45). Dabei ist die amerikanische Bevölkerung eine der ängstlichsten weltweit. Viele US-Amerikaner haben – besonders seit der Wirtschaftskrise, die Abermillionen in wenigen Jahren vom Mittelstand in die Fast-Obdachlosigkeit getrieben hat –, geradezu irrsinnige Angst um ihre Sicherheit. Und die Waffenlobby ist mächtig, sie sponsert zu 88 % republikanische Kandidaten, die es bisher verstanden haben, jeden Versuch der Demokraten um Präsident Obama, das Waffengesetz anzutasten (oder: Wohlhabende zu besteuern, um ein besseres Sozialsystem zu finanzieren oder wenigstens die inzwischen drittwelthafte Infrastruktur zu verbessern etc.), erfolgreich zu verhindern. Nach jedem Amoklauf weisen alle, die ein wenig Verantwortung tragen sollten, die Schuld weit von sich: „Wir waren es nicht!“, rufen die Eltern des Täters. „Wir haben damit nichts zu tun!“, ruft die Spielgeräteindustrie, die jene realitätsnahen Egoshooter-Spiele herstellte, welche sich alle Amokläufer vor ihrer Tat in Massen „reingezogen“ haben. „Wir können nichts dafür!“, rufen die Bildungspolitiker und LehrerInnen. „Nicht weniger Waffen – wir brauchen mehr Waffen!“, fordert die Waffenindustrie. Was sagt Andreas Beier, ein Seelsorger, der sich um die Überlebenden des Schulmassakers von Winnenden kümmert, dazu? „Wie ich das satthabe! Wenn wir wirklich wollen, dass zumindest die Wahrscheinlichkeit einer solchen Tat sinkt, müssen wir anders denken ... Wir sollten unsere gemeinsame Verantwortung dafür entdecken, dass es uns allen nur gut gehen kann, wenn es jedem Einzelnen von uns gut geht.“ Denn es gebe eine mörderische Einstellung in der Gesellschaft, die vor allem schwache junge Männer trifft, denn „gerade die haben es schwer, in unseren gesellschaftlichen, privaten und beruflichen Riten und Spielen zu bestehen, die nur darauf ausgerichtet sind, andere zu besiegen“ ( Stern Nr. 52 / 2012, S. 51).
Krieg – also jene „Riten und Spiele, die nur darauf ausgerichtet sind, andere zu besiegen“ – gibt es also in vielen Ländern längst im Alltag – auch in solchen, die angeblich im Frieden leben. Eines der weltweiten Schlachtfelder: die Börse.
2.2 Krieg an der Börse
Moral ist an den internationalen Börsen eine Lächerlichkeit. Man glaubt, sich ethische Maßstäbe nicht leisten zu können – von kleinen „Öko-Ecken“ einmal abgesehen.
Ein Beispiel: Börsenanalytiker fanden heraus, das Anleger, die in Aktien „sündhafter“ Produkte wie Waffen, Alkohol, Zigaretten, Glücksspielautomaten etc. investieren, im Schnitt mindestens 2 % mehr Rendite erhalten als diejenigen Anleger, die darauf verzichten. Deshalb tun es auch so viele (s. Gattringer 2012).
Die Turbulenzen auf dem, wie es immer so schön heißt, „internationalen Parkett“ der Börse können durchaus als vollwertiger Kriegsersatz herhalten. Hier einige Zitate aus einem Stern -Artikel (Nr. 23 / 2012, S. 86 ff.); offenbar haben einige Geldmarkt-Arbeiter sich buchstäblich einmal erleichtern wollen: „Um als Topbanker in der City Erfolg zu haben, braucht man fünf Dinge. Eine erstklassige Ausbildung, Verlangen nach Geld. Dann viel
Weitere Kostenlose Bücher