Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
beachtet – und zwecks besonderen Lustgewinns für den Täter „studiert“ worden zu sein. Daher haben viele Überlebende beide Reaktionen in sich: Sie wollen „gesehen“ werden – und sie fürchten nichts so sehr wie das. Dies kann auf TherapeutInnen sehr irritierend wirken, aber ich merke in meinen Lehrveranstaltungen oft: Wenn ich das erkläre, hellen sich die Mienen meiner KollegInnen regelmäßig auf: „Ach, so ist das! Es liegt nicht daran, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe, sondern das liegt an den so unterschiedlichen und widersprüchlichen Erfahrungen meiner KlientIn!“
Wichtig ist das auch für die Täter-Arbeit. Viele Menschen haben sadistische Impulse, aber, das sei hier noch einmal betont: Selbst von den Gewalttätern sind nur wenige „reine“, unbehandelbare Sadisten. Da täuschen uns die Krimis und die „Mörder-Profiler-Sachbücher“ einen „Horror nebenan“ vor, der so nur die wenigsten jemals gefährdet.
16.6 Wiederholungsgefahr?
Alle anderen Gewalttäter nämlich haben im Laufe ihres Lebens entweder die Gelegenheit zu einer bösen Tat nicht ungenutzt verstreichen lassen (sogenannte Gelegenheitstäter) und / oder sie werden von Zwangsgedanken und -Impulsen gesteuert, die sie ohne eine Psychotherapie nicht unter Kontrolle bekommen können. Tatsächlich gelingt es nur wenigen nicht, sie wirklich unter Kontrolle bekommen. Forensik-Experten beklagen im Gegenteil, dass viel zu viele TäterInnen, die eigentlich gut behandelbar wären, nutzlos – weil unbehandelt – ihre Zeit im Gefängnis absitzen, um dort erst recht zu lernen, wie eine Verbrecherkarriere weiter zu betreiben sei, und dann wieder entlassen zu werden. Trotzdem wird von den Entlassenen, die vor der Entlassung die Gelegenheit hatten, sich in einer Psychotherapie mit ihren Taten auseinanderzusetzen und sich zu verändern, nur ein Bruchteil wieder straffällig. Wer sich jedoch nicht verändert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso impulsgesteuert „böse“ handeln wie vorher – wenn nicht noch schlimmer, denn die Hafterfahrung kann ihrerseits traumatisch sein, etwa durch gewalttätige Mithäftlinge. Wer arm, ohne Wohnung, ohne sicheren Halt (viele Beziehungen gehen auch durch die Haft in die Brüche) und ohne Vorbereitung entlassen wird – und das trifft auf weitaus die meisten verurteilten Gewalttäter zu! –, ist viel eher eine Gefahr, weitere Opfer zu produzieren.
Eine bittere Erfahrung, die viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene als Gewaltüberlebende machen müssen, ist: Angst zu haben, dass der Täter wieder zuschlägt. Kein Wunder, denn die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering. Sie ist leider selbst dann gegeben, wenn der Täter tatsächlich verhaftet und sogar verurteilt wurde und auch noch ins Gefängnis kam (ein Promill aller Sexualtäter!). Selbst wenn Psychotherapie im Gefängnis stattgefunden hat, wie die schreckliche Erfahrung der Kollegin Susanne Preusker zeigt, die nach Jahren der Psychotherapie von ihrem Klienten im Gefängnis als Geisel genommen und sieben Stunden lang grausam gequält wurde mit für sie natürlich erst einmal verheerenden Auswirkungen – eine Erfahrung mit Langzeitwirkung, die sie in ihrem Buch „Sieben Stunden im April“ geschildert hat (2011).
Susanne Preusker hat stellvertretend für viele Gewaltopfer und Überlebende beschrieben, wie schwer es war, sich wieder aufzurichten, sich dem Täter vor Gericht zu stellen, ihm einen Brief zustellen zu „dürfen“ mit dem Satz: „Fühlen Sie sich zu keiner Zeit und an keinem Ort mehr sicher“, eine Drohung, die zeigen soll, „er soll an mich als eine handelnde Frau denken“ (Louis 2012, S. 73). Und man ahnt, wie viel Sich-Aufrichten dafür nötig war. Die Kollegin selbst hat in einem Beitrag für die Zeitschrift Emma (2012, S. 74 f.) die Strategien von Tätern beschrieben und sich zu Recht bitter darüber beklagt, dass sie nie Schmerzensgeld bekommen hat, bis auf eine kleine Summe vom Opferentschädigungsgesetz, die nicht annähernd ihre Kosten decken konnte für den Arbeitsplatzverlust, die Anwaltskosten, die Begutachtung, die Psychotherapie, die Heilverfahren etc. Dass andererseits aber etliche Sicherungsverwahrte, also als unbehandelbar geltende schwere Straftäter, nach dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes freigelassen wurden und sogar eine finanzielle Entschädigung bekamen – und dass den noch inhaftierten Sicherungsverwahrten jetzt eine bessere Unterkunft und eine Therapie gesetzlich zustehen,
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