Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
während die Gewaltopfer oft vergeblich um Erstattung auch nur der wichtigsten Kosten, einschließlich der für eine angemessene Psychotherapie, kämpfen müssen. Von den vielen Opfern der niemals juristisch behelligten TäterInnen ganz zu schweigen.
Nein, auf juristische Gerechtigkeit können wir nicht hoffen. Weder auf die angemessene Verurteilung von Tätern (schätzungsweise zwischen 0,1 % und 1 % aller Straftäter im sexuellen Bereich werden überhaupt nur verurteilt und von denen kommen viele mit Bewährungsstrafen davon) noch auf eine angemessene Entschädigung der Opfer – auch wenn wir niemals aufhören dürfen, dafür zu kämpfen.
Was wir aber tun sollten, ja tun müssen, ist: So früh wie möglich die vielleicht zukünftigen Opfer zu schützen und die vielleicht zukünftigen TäterInnen zu finden, um ihnen ein alternatives Verhalten zur Gewaltausübung bzw. dem Gewalt-erdulden-Müssen aufzuzeigen.
Für die Täter-Prophylaxe bedeutet das: Wir sollten uns bemühen, möglichst früh zu erkennen, ob ein Kind die Tendenz hat, gewalttätig zu werden. Und ihm dann dabei helfen, seine Impulse und Gedanken und Handlungen zu verändern. Ein Großteil der Kinder, die später Gewalt anwenden, sind selbst Opfer schwerer Bindungstraumatisierungen und Misshandlungen. Sie haben nicht immer genau dasselbe erlebt. Aber sie haben Demütigungen, Quälereien, seelische und oft auch körperliche, überdurchschnittlich oft auch sexuelle Gewalt erlebt. Wir sollten verstehen, wieso ein Teil dieser Kinder (welche?) die Gewalt massiv gegen sich oder gegen andere einsetzt. Nicht alle nämlich schädigen andere. Viel häufiger ist es, dass erlittene Gewalt gegen sich selbst gewendet wird, erst in zweiter Hinsicht geschieht es gegen andere. Und die drängendsten Fragen: Wie können wir möglichst früh eingreifen, und was wird den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen helfen, um möglichst nicht zum Täter an sich oder anderen zu werden?
Wenn es stimmt, dass die meisten GewalttäterInnen selbst eine entsprechende Geschichte haben, dann müssen wir uns die Herkunftsfamilien der TäterInnen anschauen. Und dann ihren typischen Werdegang verstehen.
17. Schuldfähig? Steuerungsfähig? Wegsperren?
Lass dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit ...
Wolf Biermann
17.1 Zum Einstieg ... etwas Juristerei
„Steuerungsfähigkeit ist ... ein Rechtsbegriff des Strafrechts zur Frage der Schuldfähigkeit. Sie ist nur dann zu prüfen, wenn der Täter die Rechtswidrigkeit der Tat entweder eingesehen hat oder einsehen konnte (§ 20 StGB). Die Steuerungsfähigkeit fehlt, wenn der Täter trotz vorliegenden Unrechtsbewusstseins unfähig ist, gemäß der Einsicht des Unrechts auch zu handeln. Sie kann fehlen bei Alkoholikern, insbesondere im Falle vorliegender organischer Hirnschädigungen, ebenso aber bei tief greifender sexueller Abhängigkeit, Wahn, exo- wie endogenen Psychosen, sonstigen krankhaften seelischen Störungen und dem Zusammenspiel mehrerer für sich genommen bereits subsumierbarer Einzelstörungen, wie zum Beispiel Intoxikationspsychosen“ (Quelle: Wikipedia [13] ).
Immer häufiger verlassen sich Richter, um die Schuldfähigkeit eines mutmaßlichen Straftäters zu ermessen, nicht mehr auf ihr eigenes Urteil, sondern auf Gutachten. Der Täter und auch oft das Opfer werden untersucht. Das mutmaßliche Opfer auf seine Glaubwürdigkeit – eine Tortur für Menschen, die Gewalt erlitten haben! –, der Täter auf seine Schuld- und Steuerungsfähigkeit; wobei hier ebenfalls zahlreiche Persönlichkeitsfragebogen und Interviews sowie ein Studium ihrer Vorstrafen- bzw. Jugendakte für die forensischen Gutachter eine Rolle spielen.
Wenn es um die mögliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit von Straftätern vor Gericht geht, so gibt es diese in der juristischen Praxis in vier Stufen:
Eine mögliche erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (nach der Beweisaufnahme nicht auszuschließen) bedeutet: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Konsequenz: Auswirkungen auf die Zumessung der Strafe. Es liegt im Ermessen des Richters (nach §§ 21,49, Abs. 1 StGB), nun zu prüfen: Handelt es sich um einen minder schweren Fall? Kann man die möglicherweise verminderte Steuerungsfähigkeit bei der Strafzumessung im Einzelnen berücksichtigen? In dieser ersten Stufe gibt es im Urteil keine Möglichkeit einer Unterbringung nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Eine sichere erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit.
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