Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Straftäter Ego-States und selbstverständlich dissoziieren sie auch. Genauso gibt es jene, die strategisch verleugnen. An diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von anderen Menschen, die Erfahrungen mit Gewalt machen. Die Arbeit des Profis liegt unter anderem in der genauen Analyse der jeweiligen deliktischen Persönlichkeitsanteile, der daraus resultierenden Dynamik und schließlich den entsprechenden therapeutischen Interventionen.
MH: Was kann jemand, der getötet hat, eigentlich noch lernen über das Leben, auch das seiner Opfer?
MW: Lernen bedeutet in diesem Fall vor allem zu wissen, wie man zukünftige Delikte verhindert. Manchmal muss man als Therapeutin auch akzeptieren, dass der Täter nichts lernt. Gar nichts vielleicht. Und dennoch niemals rückfällig wird, weil er strategisch und letztlich ganz egoistisch denkt. Das muss einem manchmal reichen. Priorität haben Delikte, die nicht geschehen, und nicht die Lebensphilosophie des Täters zum eigenen Leben oder dem Leben anderer Menschen.
MH: Es heißt, Wiederholungs-Gewalttäter seien mitleid- und gewissenlos, und das bliebe so. Ist das auch deine Erfahrung?
MW: Es gibt große Unterschiede. Ja es gibt Gewalttäter, die kein Mitgefühl und keinerlei Gewissen haben. Andere haben das alles und werden dennoch rückfällig. Wer keine Empathie besitzt, aber aus strategischen Gründen nicht mehr rückfällig wird, hat sein Ziel erreicht. Das gilt es zu akzeptieren. Auch wenn man es sich selbst manchmal anders wünschen würde.
MH: Du beschäftigst dich intensiv mit der Vermittlung sehr basaler Erfahrungen von Feiern, Dankbarkeit, Trauer und Erfolgen. Warum?
MW: Die Implantierung und Wiederholung dieser basalen Erfahrungen sind gleichzeitig Rituale, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Und es schafft natürlich Nähe, Beziehung und Leuchten in den Augen ... Währenddessen und danach sind die Männer bereiter, sich zu öffnen.
MH: So etwas wird doch recht schnell von KritikerInnen als „Kuscheltherapie“ abgetan. Kannst du ein Beispiel geben, warum sich das trotzdem lohnt, auch für die Gesellschaft, wenn du das machst?
MW: Gerade heute hat mir ein ambulanter Klient geschrieben. Er ist schwer dissozial, unter Alkohol wird er schnell zum Schläger, hoch narzisstisch, (noch) nicht (wieder) inhaftiert; ich bekam ihn mit 20 Jahren in Therapie, jetzt ist er 24. Er hatte es nicht geschafft, vor meinem Urlaubsantritt Adieu zu sagen; nicht geschafft, in die Therapie zu kommen, bevor er selbst in die Ferien fuhr.
Er schickte mir glückliche Familienfotos und schrieb: Hallo liebe Frau Wick, sind Sie mir böse?
Nein, schrieb ich, denn Sie wissen ja heute, was Sie tun ...
Er: Puh ... dann bin ich aber froh. Habe schlechtes Gewissen gehabt ...
Ich: Gut und recht so! ;O)
Er: Ja ... Doch heute ist mir das und vieles nicht mehr egal!
Ich: Ich weiß.
Er: Schön dass ich weiß, dass es Sie gibt ... liebe Frau Wick!!! PS. Ich trinke keinen Wodka und denke an Sie, bevor es eine Schlägerei gibt. Und mit dem Auto bin ich vorsichtig und mit den Frauen auch und Geld gebe ich vernünftig aus ... Bis bald, schöne Ferien Ihnen!!!!!!
Dieser junge Mann ist nicht zu unterschätzen. Anfangs war er das, was viele einen Kotzbrocken nennen würden. Schwerstmisshandelt als Kind, aus kulturell schwieriger Situation ... Heute ist er einer meiner Guten. Aber der Weg dahin war sehr schwer. Und ich kann sehr rigoros sein zwischendurch, das brauchen die Jungs auch. Eine Mischung eben aus einer Autoritätsperson und jemandem, der sie achtsam und wertschätzend fördert.
MH: Du giltst als eine, die „eben mit den Schwierigen kann“. Eine solche Arbeit wie die, die du machst: zeitlich aufwendig, intensiv in Bindung und Beziehung gehend, dabei aber innerlich unabhängig und durchaus auch eine Autoritätsperson – wäre es nicht besser, dass dieses Konzept überall eingeführt wird, statt es zu einer Persönlichkeitsfrage zu machen: Die kann eben mit so Schwierigen ...?
MW: Achtsamkeit, Wertschätzung, Respekt und klare Grenzen sowie das Vertreten einer moralisch und juristisch-forensisch klaren Haltung – das ist etwas, das ich und einige geschätzte Team-Kollegen versuchen, den jüngeren KollegInnen (und auch manchen älteren, die das bislang anders sahen) nahezubringen.
MH: Apropos nahebringen: Wie nähern sich die Täter ihrer Tat? Wer kann sich damit auseinandersetzen – wer nicht?
MW: Therapeutische Begleitung ist bei Tätern meist die Begleitung auf dem
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