Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Alltagsperson nicht mehr funktioniert]? Mal die, mal die – aber nie mehr wieder so viele Tage oder Stunden am Stück, wie K. das konnte. Nie mehr ist sie jetzt wieder so funktional, wie sie es früher immer war. Keine Politik mehr, keine stundenlangen Recherchen, Telefonate, Seelentröstungen, nur ganz selten Artikel, keine Verbandsposten mehr, alles weg ... Sie konnte nachts arbeiten, während die anderen tagsüber arbeiteten. Und: das ganze Wissen, ihre Kompetenz – alles zerbröselt. Einfach verloren. Sie kann nichts mehr. Komplett Schrott für außen. Und die anderen müssen zusehen, wie sie es ausgleichen. Und das alles, weil sie ein einziges Mal Kontakt hatte mit einer winzigen Traumasequenz, als die, die sie abschirmte, in einem Gespräch mit der ambulanten Therapeutin weich wurde.
MH: Wenn nur du und die „hinter dir“ recht hätten, müssen ja alle anderen falsch sein oder dumm oder? Das erinnert mich ein bisschen an eine Sekte. Wart oder seid ihr irgendwo „drin“, in einer ideologisch festgelegten Gruppe, die über die „reine Wahrheit“ verfügt?
Sandra: Nein. Vielleicht wäre das besser gewesen? Dann hätten wir eine Erklärung für all das, die jeder Mensch gleich verstehen könnte. Nein, nichts dergleichen. Wir hatten nicht mal Kontakt zur „ganz normalen“ Kirche. Nur die Familie. Und schon muss ich glauben, Sie glauben mir kein Wort, weil ich doch rein gar nichts von dem erlebt habe, was rechtfertigen würde, wer und wie wir sind.
Nach dem Gespräch
Ich habe Sandra diesen Text geschickt, und sie hat ihn „abgesegnet“ mit den Worten: „Habe es gelesen, passt so. Endlich steht es mal irgendwo so, dass es stimmt. Danke. Ich habe ein bisschen das Gefühl, zu ehrlich gewesen zu sein, und dass Sie jetzt doch lieber nichts mehr mit mir zu tun haben mögen. Das ist normal. So viel Zeit wie Sie hat mir noch nie jemand geschenkt. Vielen Dank. Und viel Erfolg mit Ihrem Buch.“
Darauf habe ich ihr geantwortet, was ich von ihr gelernt habe: „Mir ist durch deine Worte nachvollziehbar geworden, dass du offenbar klare Prinzipien hast: Vertraue niemandem, allein ist immer besser; äußerste Skepsis gegenüber dem Therapieprozess bis hin zu seiner Ablehnung, weil er Schmerzen und Durcheinander verursacht und man nicht mehr gut funktionieren kann. Das kann ich alles gut verstehen. Ich habe lange in einem Teil meines Wesens auch so gedacht, für mich persönlich: Hauptsache funktionieren. Und manchmal denke ich auch als Therapeutin: Machen wir hier in der Therapie was falsch? Weil es zwischendurch so hart ist. Nur habe ich oft erlebt, dass es zwischendurch für den Ausgang des Therapieprozesses zwar manchmal (naja, ganz schön oft) wackelig aussah, es immer wieder existenziell wurde und dass es auch manchmal verdammt lange gedauert hat und schwer, schmerzhaft und mühsam war (übrigens auch für mich: Ich finde, als TherapeutIn muss man auch ziemlich hart im Nehmen sein und langmütig und zäh ...). Aber für alle, mit denen ich länger gearbeitet habe (manche sind nur kurz – sozusagen zum „Schnuppern“ vorbeigekommen und dann weitergezogen), hat es ein sehr viel freundlicheres Leben gebracht. Nur mal so: Alle meine KlientInnen sind nach relativ kurzer Zeit (wieder) berufstätig oder bleiben es, auch die, die vorher gar nicht arbeiten gingen. Manche, die vorher extrem durch den Wind waren, können nur wenige Stunden in der Woche konzentriert arbeiten, aber sie tun’s. Einige sind beruflich richtig erfolgreich. Etlichen geht es so gut, wie sie es niemals für möglich gehalten hätten, dass es ein solches Leben überhaupt für sie geben könnte. Wenn du das nicht glauben willst, wirf mal einen Blick in das „Viele-sein“-Buch. Da findest du viele Rückmeldungen von „Vielen“ darüber, was ihnen geholfen hat, nicht nur von meinen KlientInnen. Und die haben nicht einfach nur „euch“ unterdrückt, das klappt nämlich nie auf Dauer. Und meins ist es auch nicht, das Unterdrücken. Hast du mal von Peter Hoeg: „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ gelesen? So ein Erwachsener wollte ich nie sein, der Kinder (oder überhaupt Ratsuchende) „ummodeln“ will. Wenn es keine Gemeinsamkeit in der Persönlichkeit für den Veränderungsprozess geben kann, kann es keine (dauerhaften) gemeinsamen Erfolge geben. So sehe ich das. Diese Gemeinsamkeit immer wieder, wenn auch immer mal nur als „Tolerieren von ...“ herzustellen und dabei alle einzubeziehen, die da sind, sehe ich als die
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