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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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[die Gewalterfahrung] betraf ja nur uns, unsere Geschwister nicht. Weiter über die, die etwas mitbekamen und auch nicht wussten, was man mit so einem widerlichen Kind anfangen soll, und ihr [der Mutter] Respekt aussprachen, wie sie das schafft, und dass sie uns nicht einfach ins Heim gibt stattdessen. Von den sexuellen Sachen mal ganz abgesehen. Sie war in Not, brauchte Geld, wir haben es gern gemacht, sonst hätten wir es doch nicht gemacht bzw. machen lassen – voilà.
    MH: Ich frage das deshalb, weil viele, die ich kenne, das glauben, und wenn wir eine Weile zusammen nachgedacht haben, fällt vielen ein, dass sie sich doch oft und manchmal bis an den Rand der (Selbst-)Zerstörung gewehrt haben.
    Sandra: Nein, nie. Und ich habe wirklich lange nachgedacht.
    MH: Aber es stimmt auch: Manche sind einfach erschlafft, wenn „es“ wieder „so weit“ war, und haben alles über sich ergehen lassen, eben in einem dissoziierten Zustand des Nichtfühlens und Nichtnachdenkens.
    Sandra: Da weiß ich gerade nicht, was Sie meinen. Es gab doch keine Pausen. Wir kennen es nur so: Jeden Tag, jede Nacht, 24 Stunden lang 150 % Konzentration und „Achtsamkeit“, wie das heute so schön heißt. Immer auf alles gefasst sein, um nie überrascht zu sein. Schon ein Wimpernzucken vor Schreck gab Anlass zum Durchdrehen. Wir haben Nächte damit verbracht, nackt im Keller zu stehen, jede Sekunde damit rechnen müssend, dass sie plötzlich die Tür aufreißt und auf uns einprügelt, weil es sie gerade wieder überkommen hat. Ich meine – wir hätten schreien und sie anspucken können oder auf der Treppe uns losreißen und wegrennen oder später uns körperlich wehren, sie mit dem Kopf gegen die Wand schmeißen oder so, aber sie konnte doch nichts dafür, dass wir sie so gestresst haben. Warum hätten wir das also tun sollen? Und wieso sind wir nie weggelaufen? Haben nie der Polizei gesagt: Hey, wir sind Gewaltopfer, machen Sie was? – Weil wir immer wussten, dass es nicht wahr ist. Auf die Idee wären wir überhaupt nicht gekommen.
    MH: Wenn ich dich richtig verstanden habe, ziehst du den Schluss: Wer sich als Kleinkind und später nicht gegen die Gewalt gewehrt hat, sei selbst schuld. Meinst du damit: Wer sich nicht wehrt, dem geschieht das Schlimme zu Recht? Oder wie meinst du das?
    Sandra: Naja nein, das habe ich so nicht gesagt. Ein Kleinkind, das weiß doch gar nicht wie ihm geschieht. Aber irgendwann werden alle mal größer und bewusster. Und Sie schreiben das ja auch, dass viele, die Sie kennen, sich „oft und manchmal bis an den Rand der (Selbst-)Zerstörung gewehrt haben“. Denen würde ich immer glauben, dass das so war und dass sie Gewalt erlebt haben und nichts dafür konnten. Wir haben keine „Gewalt“ erlebt. Wir hatten eine irre Mutter und wir haben sie halt permanent angetriggert, das ist alles. Wir haben manchmal so rasant durcheinandergewechselt oder uns „leer“ gemacht, damit wir eine neue Anpassung versuchen konnten. Wir haben es einfach nicht geschafft, so zu sein, wie es richtig gewesen wäre. Da kann doch niemand außer uns etwas dafür.
    MH: Ich habe dich gefragt: Wie ist es bei euch? Gibt es Zuhören? Gibt es Ratlosigkeit? Gibt es Räume der Begegnung? Trauer? Verstehen? Und du hast geantwortet: „Es ist getrennt. Einfach getrennt. Ich höre zu und ich verstehe es nicht, was sie denken und sagen. Sie hören nicht zu. Ich denke gerade, dass sie vielleicht genau deswegen entstanden sind, damit das Gehirn vergisst, dass es mich gibt. Denn sonst wäre ihr schönes neues Leben nicht möglich und das gönne ich ihnen auch. Nur wenn sie sich in Gefahr bringen, dann leiden die Kinder. Die leiden so sehr und niemand bemerkt es. Sie schauen sie an und sagen, man muss sich drum kümmern. Sie schlagen Helferwesen vor, das finde ich verhöhnend.“ Ich verstehe das so, dass du glaubst, die anderen sind naiv und bringen sich – und die inneren Kinder bei euch – immer wieder in Gefahr; und den Innenkindern einfach nur Helferwesen zu geben ist nicht die Lösung. Die Lösung wäre ein klareres Sich-Schützen. Oder was meinst du mit diesen Sätzen?
    Sandra: Ich habe auch geschrieben, dass ich die Trauer nicht nachvollziehen kann. Das kann ich immer noch nicht. Wir haben nichts verloren. Es gibt keine Trauer.
    Wegen der Kinder muss ich etwas ausholen. Sie [die anderen Bereiche der Persönlichkeit] haben die Kinder in dem Moment in Gefahr gebracht, als sie anfingen, sich auf die ambulante Therapie einzulassen, und weder

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