Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
niemals vergessen wird, dass man niemals, einfach niemals sicher ist, außer man ist allein. Man darf niemanden brauchen, so weit darf es nie kommen. Und sie haben das so weit weggeschoben, dass sie jetzt immer mal jemanden brauchen. Schön, wenn das dann klappt, aber was, wenn mal nicht? Und das wird passieren. Man darf niemandem vertrauen. Niemals.
MH: In welche Richtung, findest du, sollte sich die Gesamtpersönlichkeit entwickeln und welche Aufgabe möchtest du in Zukunft darin übernehmen?
Sandra: Entschuldigung, aber: typisch. Sobald man sich zeigt, kommt die Frage nach der Nützlichkeit. Gestern, glaube ich, war es, da ist uns zum ersten Mal etwas anderes begegnet. Wir sind ja gerade in der Klinik. K. (eine Innenperson) sagte zur Bezugstherapeutin, sie könne das versuchen, was gerade ansteht, damit sie sich auch mal wieder nützlich fühlen kann. Ich bin fast mit offenem Mund da gesessen, als die Therapeutin dann meinte, K. dürfte einfach auch da sein, ohne nützlich zu sein. Wo gibt’s denn so was?
Aber zur Frage. Ich finde die Trennung zwischen den Systemen wichtig. Wer Kontakt haben und halten will, soll das gern tun. Die Fremd-„Programmierungen“, die so unkontrollierbar sind [Gedanken- und Verhaltenszwänge] zu finden und aufzulösen – das würde mir am Herzen liegen, das gehört nicht zu uns. Insgesamt ist wichtig, dass wir auf eigenen Füßen stehen, eigenes Geld verdienen, unabhängig bleiben und in manchen Dingen noch oder wieder werden, z. B. unabhängig von Beratung und Therapie – außer für Einzelnes vielleicht, kurz gehalten, mit klarem Ende, problem- und lösungsfokussiert. Und vor allem: weg von Beziehungsebenen. Aber da ist der Hase zumindest mit zwei Außen-Menschen und den ... [Alltagspersönlichkeiten] schon um die Ecke und ich habe schon eingesehen, dass ich das einfach aushalten muss, bis es dann irgendwann so weit ist, dass es in die Hose geht.Meine Aufgabe kann dieselbe bleiben, ich finde das alles ganz richtig so.
MH: Ich komme noch mal auf eure innere Dynamik zurück und dem, was du sagtest, dass manche „hinter dir“ dich jetzt allein durch unser Gespräch für „gefährdet“ halten. Wer ist hier wessen Feind?
Sandra: Ja, das kommt eben drauf an, wen Sie fragen oder „von wem aus“ Sie das sehen wollen. Ich nehme wahr, Sie sehen das von der Therapeutenschiene aus (auch wenn Sie sich sehr bemühen, sich mir als Verbündete anzubieten). Also von Ihnen aus gesehen sind wir Feinde der Beskillten, der Einfältigen und der Leichtfertigen. Therapeutisch formuliert: Feinde der sogenannten Heilung. Wir sind das deswegen, weil die „Heilung“ die „Bekehrung“ der Ungläubigen wie uns beinhalten muss, um die Super [Name] in ihren Superfühlen nicht zu behindern. Von uns aus gesehen ist hier niemand irgendwessen Feind. Es gibt einfach viele unterschiedliche Leute, unterschiedliche Systeme – auch intern mit jeweils unterschiedlichen Strukturen, Durchlässigkeiten, Sinnhaftigkeiten ... Verschiedene Persönlichkeiten mit verschiedenen Realitäten, Überzeugungen oder Zielen. Keine Lager wie links und rechts, oben und unten, gut und böse, hell und dunkel. Wäre schön, weil leichter fürs Einordnen, aber es ist bunt, durcheinander, überlappend, dynamisch, flexibel.
MH: Gibt es bei dir / euch so etwas wie die „reine Lehre“ oder „Wahrheit“, die du / ihr verteidig(s)t? Darf es nur die eine Wahrheit geben?
Sandra: Lieber Himmel, nein, und das macht mich beinah wütend. Klingt, als wäre ich eine blöde Scientology-Tussi oder so was. Ich sag ja: Es gibt verschiedene Wahrheiten, sozusagen, und von mir aus kann jeder eine eigene behalten, solange man sich nicht in Gefahr bringt oder abhängig macht, weil das dann alle betrifft, so bitter das ist. Ein Körper – muss einer in die Irrenanstalt, müssen alle anderen mit.
Gefährdet deswegen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Leute [in der Persönlichkeit], die uns früher verstanden und gut geschützt haben, das heute nicht mehr tun und sich kein Stück, mehr bemühen, die Sicherheit aller im Auge zu behalten. Gefährdet auch, weil andere, die früher reiner „Alltag“ waren, inzwischen durch die, die von uns übergelaufen sind, Traumaberührung hatten und aus vorher hochfunktional wurde nachher Schrott. So können wir nichts von dem erhalten, was wir bzw. die Ressourcen [Name] sich so schön aufgebaut haben.
Beispiel: Wer macht alles, was früher möglich war, seit K. kontaminiert ist [K. als
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