Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
können. Und wahrscheinlich war eben genau dieses Arrangement notwendig, um diese gefährlichen Situationen zu überstehen.
MH: Was, glaubt ihr, wird helfen, wenn ihr immer besser zusammenarbeiten wollt als ein inneres Team?
K & L: Diese Frage hätten wir zurzeit auch gerne selbst beantwortet. Was meinen Sie denn dazu? Wir haben Ideen, aber hmm ... sind sehr skeptisch, was die Erfolgsaussichten angeht, weil es sich einfach mitunter so schwer anfühlt, als sei es nicht zu schaffen. Erst heute saßen wir weinend vor unserer Bezugspflege und haben fast schon gebettelt, dass sie uns endlich sagt, was wir nun tun sollen, damit alles gut wird.
Es gibt wohl keine schnelle und fixe Möglichkeit, was helfen könnte, außer der Tatsache, Verständnis für diejenigen aufzubringen, die noch nicht mit an den „runden Tisch“ wollen. Wir haben aber im Laufe der Zeit, die wir versuchen, mit dem Wir zu arbeiten, diesbezüglich schon Fortschritte machen können. Manchmal ging es zum Beispiel über diplomatische Vermittler zwischen verschiedenen Meinungsträgern, sich zu verständigen. Es scheint ein schwerer und harter Weg zu sein, aber es werden mit der Zeit mehr, die sich trauen, mit anderen ins Gespräch zu gehen oder sich wenigstens schon mal andere Meinungen, Weltanschauungen und Ideen anzuhören. Ich glaube, das ist ein guter Anfang, dass man einander zuerst einmal Gehör schenkt und sich dann langsam, aber sicher aufeinander zubewegen kann, im eigenen Tempo.
Interview 9: „Es gibt keine kindlichen Psychopathen – aber bindungsgeschädigte Kinder!“
Interview mit dem Traumaforscher und Kindertherapeuten PD Dr. Karl Heinz Brisch vom Dr. von Haunerschen Kinderspital in München
Michaela Huber: Wann kommen Kinder zu Ihnen in die Klinik, wie merken Sie, ob Kinder traumatisiert sind?
Karl Heinz Brisch: Es gibt verschiedene Wege in die Klinik: Die Kinder können nach Misshandlung in die Dr. von Haunersche Kinderklinik aufgenommen werden, weil sie wegen blauer Flecken, Knochenbrüchen, Schädelfrakturen, aber auch wegen körperlicher und emotionaler Verwahrlosung oder ähnlicher Traumatisierungen irgendwo aufgefallen sind. Manche Kinder kommen wegen diffuser Panikzustände und Ängste, aber auch nach Suizidversuch, Alkoholvergiftung, selbstverletzendem Verhalten. Teilweise werden sie von den Eltern selbst gebracht, teilweise werden sie von Lehrern oder Erziehern vorgestellt. Es kann aber auch sein, dass die Kinder wegen psychosomatischer Beschwerden untersucht werden, wie z. B. Einnässen, Einkoten, Schlafstörungen, Schmerzstörungen, Essstörungen aller Art, letztendlich auch mit Verdacht auf neurologische Erkrankungen, die sich schließlich als dissoziative Störungen herausstellen, wie z. B. motorische Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sehstörungen. Kinder werden auch teilweise direkt in unserer kinderpsychosomatischen Ambulanz wegen solcher diffuser körperlicher Symptome vorgestellt. Bei der Diagnostik stellen wir fest, dass das Kind großen Stress, etwa in der Familie oder der Schule, erlebt und hinter dem Stress eine Traumatisierung steckt.
Auch das Jugendamt, Kinderärzte, Kinderschutzambulanzen stellen Kinder zur Untersuchung vor; manche werden nach einer akuten Inobhutnahme in die Kinderklinik gebracht, damit wir sie im Rahmen der Diagnostik abklären und begutachten sollen. Hier erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der Rechtsmedizin. Viele Abteilungen müssen eng zusammenarbeiten. Die Koordination läuft über die Kinderschutzgruppe, die interdisziplinär zusammengesetzt ist. Die Zugangswege sind also vielfältig.
MH: Kinder als Opfer – Kinder als Täter (als täterimitierend). Sind beide Ihrer Beobachtung nach traumatisiert?
KHB: Wenn das Kind traumatisiert, wenn ihm Gewalt angetan wurde, in welcher Form auch immer, oder wenn es Zeuge von Gewalt war und eine entsprechende Posttraumatische Belastungsstörung mit entsprechender Symptomatik zeigt, ist es zum Opfer geworden. Oftmals ziehen die kindlichen Opfer sich depressiv zurück, d. h., sie sind eher im Flight-, also Flucht-Modus.
Viele Kinder, die wir ambulant oder stationär in unserer Intensiveinheit zur Psychotherapie aufnehmen und behandeln, sind in ihrem Verhalten als Opfer unterwegs. Sie werden also Mobbing-Opfer, geraten auch in den Auseinandersetzungen mit anderen Kindern und Jugendlichen in eine Opferrolle.
Gleichzeitig sind sie oftmals aber auch als Täter unterwegs und mobben andere oder sind gewalttätig aggressiv gegenüber
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