Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Scheiß-egal-Haltung heraus sich nicht an Vereinbarungen und Absprachen halten.
Es gibt aber auch diejenigen, die inzwischen die Vorzüge des Viele-Seins für sich entdeckt haben, wie zum Beispiel, dass es eben innen oft die Möglichkeit gibt, Rat und Unterstützung zu bekommen und sich gegenseitig zu helfen.
MH: Mein Buch handelt ja von den inneren Kämpfen und Auseinandersetzungen. Und davon, dass es Anteile (oder bei euch vielleicht gefühlt: „Leute“?) im Inneren gibt, die ganz andere Dinge vertreten, als sich in Sicherheit zu bringen, an der Befreiung zu arbeiten, es gut zu haben und so weiter. Wie erlebt ihr diese inneren Auseinandersetzungen?
K & L: Ja, diese von Ihnen beschriebenen Auseinandersetzungen sind auch bei uns an der Tagesordnung. Es ist im Grunde ein Bürgerkrieg innen, der sehr sehr kräftezehrend und vermutlich anstrengender ist als alles andere. Die Leute da innen, die eben einfach andere Lebensvorstellungen haben, als frei und sicher zu sein, sabotieren, gängeln, quälen und schüchtern diejenigen ein, die sich so sehr nach einem lebenswerteren Leben sehnen. Ganz schwer zu ertragen sind auch eingeimpfte, indoktrinierte Schweigegebote, auf die nicht wenige hier bei uns sehr pochen und die Verstöße gegen diese Gebote hart bestrafen. Innerlich wie äußerlich.
Oft haben die auch einfach ein anderes Verständnis von Sicherheit. Manche von denen empfinden das ja als derart richtig und gut, was „jenseits der Freiheit“ stattfindet, dass die alles dafür tun wollen, um in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben oder wieder dort hinzukommen. Sie setzen den anderen (innen) gegenüber oft derartig brachiale, brutale und gemeine Mittel ein, dass dem kaum standzuhalten ist. Das ist wie ein Horrorfilm, der im Inneren selbst gedreht und inszeniert wird, in dem auf einmal Leute die Hauptrolle spielen, die völlig überfordert damit sind und denen das sämtliche Kräfte raubt.
MH: Woran merkt ihr, dass „die anderen da waren“, also die von euch aktiv waren, die eher mit den Tätern einverstanden sind oder denken, sie wären so wie diese?
K & L: Das ist ein bisschen unterschiedlich, je nachdem, was hinter den Aktivitäten genau steckt. Zum einen kann es sein, dass viele von Flashs, Bildern und Schmerzen geplagt, ja beinah schon geflutet sind, verängstigt und teils panisch sind und großes Chaos innen herrscht und meist dann auch nach außen. Je nachdem, was von den aktiv Gewesenen noch so übrig bleibt: Mitunter lässt sich manches später noch erschließen. Am eindeutigsten sind natürlich Selbstverletzungen, die auf einmal da sind. Wenn es ganz ungünstig für diejenigen gelaufen ist, die frei werden wollen, wurden alte gefährliche Kontakte wiederbelebt oder erwidert und demnach eingegangen, was wiederum nicht mehr ganz spurlos am Gesamtzustand des Systems vorbeigeht (äußere Verletzungen, Verzweiflungsattacken ...).
MH: Habt ihr schon zu allen da innen Kontakt, die da hin und her zerren und argumentieren in eurem Kopf? Wie versucht ihr, das alles zu verstehen?
K & L: Nein, wir haben noch nicht zu allen Kontakt, und das erschwert die Lage sehr. Oh jeee ... Tja, wie versuchen wir das alles zu verstehen? ... Das ist eine gute Frage.
Vermutlich gibt es einfach einige bei uns, die nicht verstehen können, wozu das gut sein soll, zusammenzuarbeiten. Wir versuchen, mithilfe der sogenannten Schlauköpfe bei uns Verständnis für andere Sichtweisen zu entwickeln. Die Schlauköpfe sind Leute hier, die – ganz und gar losgelöst von Emotionen – sich nur in Rationalitäten und Objektivitäten bewegen. Das ist mitunter sehr hilfreich, da es denen gelingt, sich von ganz außen sozusagen unsere Situation anzusehen und zu reflektieren.
MH: Wieso haben manche von euch die Ansichten der Täter übernommen? Was glaubt ihr, warum sie das tun? Denn nichts, was der Mensch tut, ist ohne Sinn.
K & L: Es fällt schwer, den Sinn zu sehen für die Ansichten derer, die so denken wie die, die uns so schwer zugesetzt haben ... Vielleicht ist es anders für die nicht auszuhalten gewesen, also in dem Sinne, dass das, was die durchlebt haben, nur zu überstehen war, indem sie sich mit dem Gegenüber solidarisiert und Verständnis für die Täter entwickelt haben. Das kann ich mir schon vorstellen, dass, wenn einem Schlimmes widerfährt – und es ist sooo schlimm, dass man im Grunde nicht begreifen kann, warum jemand so etwas tun kann –, dann sucht man ja nach Erklärungen, um sich damit besser arrangieren zu
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