Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
sie noch die Therapeutin haben das meiner Meinung nach jemals richtig verstanden. Wir waren dagegen, dass sie sie reden lassen. Wir waren dagegen, dass sie in Beziehung gehen. Wir waren dagegen, dass sie ihren Hunger wahrnehmen und auch noch äußern. Und wir hatten recht damit! Alles ist intern in Katastrophen gelaufen, die nicht nötig waren. Sie haben doch ihre neuen, perfekten Leben (von denen wir ja auch profitieren, das streite ich gar nicht ab). Was sollte das inszenierte Leid, das niemand verstehen oder lindern kann? Solche zwecklosen Aktionen sind für mich Autoaggressionen und viel schlimmer als das, was L. oder andere [„Leute“ im Innern] tun, wenn sie das Bedürfnis haben, sich körperlich zu verletzen. Im Prinzip ist das schon fast ein Arbeiten an der kompletten Selbstzerstörung. Und was tun sie, wenn sie merken es bricht etwas los und sie kommen nicht damit zurecht? Sie rennen los und erzählen es brühwarm der Therapeutin und betteln förmlich um Hilfe. Und was soll diese arme Frau da tun? Alles „wieder gut“ machen? Sie tut, was sie kann, und auch hier in der Klinik sind ja alle sehr bemüht und unendlich geduldig und offen. Aber was sollen sie tun? Sie können nur das einzig Wahre vermitteln: Da müssen wir uns selbst drum kümmern. Haben wir doch auch immer gemacht – das wird jetzt alles um-ressourct.
Ich habe gesehen, wie sie die Kinder [innen], die wir haben sterben lassen, „rausgeholt“ und „an einen sicheren Ort“ gebracht haben. Ich finde es zum Kotzen, Entschuldigung, aber so ist es. Seit Monaten liegen sie nun woanders, wo sie jeder sehen, aber keiner was tun kann. Was soll denn dieser Unsinn. Sie sind tot und fertig.
Jetzt gerade steigen sie [in der stationären Traumatherapie] in irgendwelche Erinnerungen ein, in diese Fetzen, die sie so nennen, und hängen nun an einer Kleinen, die schon immer (!) in einer Situation eingefroren ist, und niemals hat es wen interessiert. Jetzt leiden mindestens drei Leute [der Persönlichkeit] darunter, dass sie weder sich noch die Kleine da rauskriegen. Und alles, was man tun könnte, wäre, „ein Helferwesen“ oder -Tier zu imaginieren, das „stark genug“ ist, sie dort wegzuholen. Und selbst wenn das klappt – was dann? Dass sie dort ist, ist richtig und gehört so. Niemand von denen hätte „entstehen“ können, wenn wir heute noch damit beschäftigt wären, ständig zu wühlen, wer früher irgendwo zurückgelassen wurde.
MH: Ich habe während unseres schriftlichen Gespräches sehr deutlich gespürt, dass du „jemand“ bist, und habe dir geschrieben: „Danke, dass es dich gibt.“ Mein Eindruck ist, dass du sehr wichtig bist für die gesamte Persönlichkeit, mit deiner Kritik, deinen Mahnungen, Warnungen und der unabhängigen Schärfe deines Urteils. Deinem Bestehen auf „safety first“ – zuallererst und am allerwichtigsten ist Sicherheit. Gleichzeitig wundert mich die Unerbittlichkeit, mit der du zumindest am Anfang unseres Gespräches gesprochen hast. Wofür, glaubst du, ist deine Unerbittlichkeit nötig?
Sandra: Das hat mich irgendwie getroffen. Ich bin doch nicht unerbittlich. Ich finde mich auch wichtig, ja – uns alle. Nur sagen Sie das mal den anderen. Und wenn Sie Ihr Buch „Feind im Inneren“ nennen, dann ist doch die Frage, warum ich als unerbittlich dastehe – wenn ich doch viel länger hier bin als die anderen, die dann wohl kein Feind von irgendwem sind? Ich habe den anderen nie irgendwas getan. Ich habe sie nie in Schwierigkeiten gebracht. Wir alle haben überhaupt keine Tendenzen, im Außen irgendwelchen Schaden anzurichten. Da haben die doch richtig Glück mit uns, nach dem, was ich jetzt so über andere Komplexe [andere Persönlichkeiten] gelesen habe. Ich lasse denen ihr Leben, ich lasse sie ihre Erfahrungen machen mit allem, was sie anfangen. – Und dafür versucht man, mich in eine Ecke zu schieben und aufzulösen, damit sich alle besser einreden (lassen) können, sie dürften das freie Atmen anfangen. Wäre schön, aber ich hab‘ mir das nicht ausgesucht, mit anderen zu leben, ich kann es auch nicht ändern, aber ich benehme mich wenigstens nicht so, dass ich sie ganz vernichten will.
Jetzt werde ich ein bisschen trotzig, es geht ja eigentlich um etwas anderes. Wenn ich das Wort „unerbittlich“ umformuliere in „überzeugt“, meinetwegen in „hartnäckig“, dann ist die Antwort auf die Frage: Es ist nötig, damit falsche Hoffnungen nicht zu fatal falschen Überzeugungen führen und damit
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