Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
dagegen angehen.“ Selbstverständlich ist es optimal, wenn sowohl kompensatorische Fähigkeiten wie Persönlichkeitsveränderungen bewirkt werden können.
MH: Also, was ist es dann, das zukünftige Straftaten verhindern hilft?
FU: Es gibt drei verschiedene Möglichkeiten:
Es werden – vor allem durch deliktorientierte Therapieinterventionen – kompensatorische Fähigkeiten etabliert, ohne dass es zu einer eigentlichen Veränderung der risikorelevanten Grundproblematik kommt (z. B. Pädosexualität). Diese Situation ist vergleichbar mit einer erfolgreichen Suchttherapie. Der Klient bleibt z. B. weiter alkoholabhängig, er lernt aber, mit dieser Abhängigkeit umzugehen und abstinent zu leben.
Es kommt zu einer Persönlichkeitsveränderung, durch die risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale in ihrer Ausprägung vermindert oder gar gänzlich zum Verschwinden gebracht werden, ohne dass gleichzeitig kompensatorische deliktpräventive Fähigkeiten aufgebaut werden (z. B. eine delinquenz-fördernde Weltanschauung ist nicht mehr vorhanden).
Es kommt zu risikorelevanten Persönlichkeitsveränderungen und gleichzeitig werden deliktpräventiv wirksame Kompensationsfähigkeiten etabliert.
Persönlichkeitsveränderungen sind meist nur allmählich und nur in sehr langfristigen Zeiträumen zu erreichen. Dennoch gehören die meisten der erfolgreichen Therapieverläufe zur dritten Gruppe, wobei üblicherweise der Aufbau kompensatorischer Fähigkeiten überwiegt.
MH: Es heißt, schwere Gewalttäter sind zum größten Teil hirnorganisch verändert, haben keinen freien Willen, sind krank, müssen lebenslang unter Kontrolle gehalten werden. Wie sehen Sie das?
FU: Diese These der sogenannten neurobiologischen Determination ist meiner Ansicht nach falsch. Sie verkennt zum einen, dass wir es im Bereich von Straftätern fast immer mit relativer Determination zu tun haben. Das heißt, gewisse Persönlichkeitsmerkmale erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Straftatverhalten, determinieren es aber nicht zu 100 %. So hat ein Pädosexueller eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, Übergriffe auf Kinder zu verüben. Er kann sich aber auch dagegen entscheiden. Somit ist die Straftat ein Zusammenspiel aus bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, die eine relative Determinationskraft haben, und dem vorhandenen Spektrum an Entscheidungsoptionen einer Person.
MH: Aber es gibt doch viele Studien, die scheinbar belegen, dass Straftäter hirnbiologische Defizite haben?
FU: Hier darf man zunächst Kausalität und Determination – also Ursache und Festlegung – nicht verwechseln. So wird aus vermeintlichen neurobiologischen Korrelaten, die bei Straftätern festgestellt worden sind, abgeleitet, dass sie der Grund für die Straftat seien und die Person deswegen nicht anders habe handeln können. Es ist aber einerseits festzuhalten, dass die gegenwärtige Forschung weit davon entfernt ist, die zum Teil behauptete Kausalität auch nur in Ansätzen nachweisen zu können. Strafbares Verhalten ist kein einheitliches Phänomen. Es kommt in unterschiedlichen Erscheinungsformen vor und es gibt eine Vielzahl verschiedenster Subgruppen von Straftätern. Das bedeutet, dass eine Vielzahl verschiedener Parameter in großen Stichproben kontrolliert werden müssten, um entsprechende kausale Schlussfolgerungen ziehen zu können. Die derzeit existierenden Studien sind nicht annähernd in der Lage, die methodischen Voraussetzungen dafür zu gewährleisten, allgemeine Kausalbeziehungen nachzuweisen.
Es kommt andererseits hinzu, dass selbst wenn die Kausalität nachgewiesen wäre, dies keinerlei Beleg für die Festlegung eines Verhaltens wäre. Wenn ein Verhalten vollständig determiniert wäre, dann wäre es – zumindest theoretisch – zu 100 % vorhersagbar. Bis jetzt liegen noch nicht einmal die methodischen Voraussetzungen für den Kausalitätsnachweis vor. Von einem Beleg für die postulierte absolute Determination kann erst recht nicht die Rede sein. Man tut ohnehin gut daran, die Entscheidungsoptionen eines Menschen nicht auf ein theoretisches und hoch spekulatives Konzept, sondern konkret auf das sichtbare Verhalten zu beziehen.
MH: Was heißt das für die Schuldfähigkeit eines Täters?
FU: Wie viel Entscheidungsspielraum ein Mensch hat, lässt sich nicht zuletzt an konkreten Tatmerkmalen ablesen. Eine Tat, bei der ausgeprägte Planungen, flexibles situatives Reagieren, situative Entscheidungsvorgänge, Merkmale hochgradiger
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