Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Verhaltenssteuerung u. Ä. feststellbar sind, sprechen tendenziell für ein eher größeres Spektrum an Entscheidungsoptionen. Dabei gilt für die Mehrzahl aller Straftäter, dass Willensbildungs-, Entscheidungs-, Verhaltenssteuerungs-, Planungs-, Wahrnehmungs- und Verhaltenskontrollfähigkeiten durch die vorhandenen risikorelevanten Eigenschaften nicht so weit eingeschränkt sind, dass von einer Verminderung der Schuldfähigkeit gesprochen werden könnte. Nur in einem Teil der Fälle liegen Faktoren für eine Verminderung der Schuldfähigkeit und in einem noch kleineren Teil Gründe für eine völlige Schuldunfähigkeit vor.
MH: Die Zahlen für den Anteil der Psychopathen unter den Wiederholungs-Gewalttätern schwanken stark, zwischen 5 % und über 40 % der Inhaftierten bzw. der Forensikpatienten. Wie sehen Sie a) das Psychopathie-Konzept und b) diese Zahlen? Haben Sie eigene?
FU: Das Psychopathie-Konzept beschreibt eine für die Forensik hoch relevante Tätergruppe. Von einer Vielzahl von Studien ist bekannt, dass diese Tätergruppe ein deutlich erhöhtes Risiko für Gewalttaten aufweist. Das hat u.a. etwas mit der hohen Selbstbezogenheit dieser Personen, ihren geringen Hemmschwellen, dem mangelnden Angst- und Empathieempfinden, dem manipulierenden und instrumentalisierenden Verhalten sowie der mangelnden Bindung an Regeln und Normen und andere Personen zu tun. Ähnlich wie bei den Persönlichkeitsstörungen handelt es sich aber weniger um ein strikt kategoriales System (im Sinne Psychopathen versus Nicht-Psychopathen), sondern um ein dimensionales Konzept. Es gibt also Personen mit mehr oder weniger stark ausgeprägten psychopathischen Eigenschaften. Die Psychopathie stellt demnach eine relevante Subgruppe von Straftätern dar. Die Zahlen schwanken aber je nach Population enorm. So finden sich klassischerweise im nordamerikanischen Raum sehr viel höhere Prävalenzzahlen als in Europa. Bislang ist unklar, woher diese Differenz rührt. Es kann sich um ein unterschiedliches Bewertungsverhalten der Untersucher oder aber auch um tatsächlich verschiedene Prävalenzzahlen handeln. Generell ist anzunehmen, dass das Vorkommen von psychopathischen Eigenschaften in der Forensik tendenziell überschätzt und zu häufig diagnostiziert wird. Ein Problem stellen in diesem Zusammenhang reine aktengestützte Erhebungen von forensisch nicht speziell erfahrenen Untersuchern dar. Relevante psychopathische Problematiken finden wir in unseren Populationen hoch rückfallgefährdeter Gewalt- und Sexualstraftäter mit einer Prävalenz von 5 bis maximal 10 %. Das heißt, es handelt sich um eine relevante Gruppe, aber in mindestens 90 % der Fälle liegen andere risikorelevante Problematiken vor.
MH: Der Neurowissenschaftler Gerhard Roth sagt, etwa ein Drittel der Täter seien biologisch festgelegt, der Rest durch Umwelteinflüsse so geworden; so gut wie alle hätten massive Erfahrungen in früher Kindheit von Vernachlässigung, Verwahrlosung und / oder Gewalt. Ihre Sicht der Dinge?
FU: Ich gehe ebenfalls davon aus, dass die biologische oder besser persönlichkeitsstrukturelle Disposition bei einem relevanten Teil der Gewalt- und Sexualstraftäter eine Rolle spielt. Vermutlich dürfte es sich bei dieser frühen Determination aber um eine Kombination aus bestimmten disponierenden Persönlichkeitseigenschaften, eigenen – durchaus auch schon in der Kindheit sichtbaren – Entscheidungen, auf diesem Weg zu bleiben, und variablen Entwicklungseinflüssen handeln. Ebenfalls sehen wir bei einer relevanten Gruppe negative Kindheitserlebnisse bis hin zu potenziell traumatisierenden Kindheitserfahrungen. In unserer Zürcher Forensikstudie fanden wir für die Gewalt- und Sexualstraftäter im Kanton Zürich bei einem Drittel solch ungünstige Entwicklungsbedingungen. Bei zwei Dritteln fanden wir dies nicht. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass es viele Menschen mit negativen Kindheitserfahrungen gibt, die nicht zum Straftäter werden. Man darf hier also keinesfalls von einem Automatismus ausgehen.
Zusammenfassend würde ich es so formulieren: Frühere Gewalterfahrungen sind ein Risikofaktor für spätere eigene Gewalttätigkeit. Dies dürfte nach meinen Erfahrungen für ein Drittel bis die Hälfte der schweren Gewaltstraftäter zutreffen. De facto ist das aber kein alleinerklärender Aspekt und relativiert in abstrakter Weise nicht die Verantwortung des einzelnen Täters für seine Tat. Die jeweilige Verantwortlichkeit muss im
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