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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Gruppen von Straftätern unterscheiden Sie?
    Frank Urbaniok: Straftäter sind keine homogene Population. Es gibt sehr viele verschiedene Untergruppen, die sich in ihren jeweiligen Persönlichkeitsprofilen unterscheiden. Wir sprechen von prognostischen Syndromen, die uns dabei helfen, Straftäter bestimmten Untergruppen zuzuordnen. Prognostische Syndrome sind sogenannte risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale bzw. Kombinationen von solchen Merkmalen. Gemeint sind damit persönliche Eigenschaften, die die Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten erhöhen. Manche dieser prognostischen Syndrome haben Überschneidungen zu psychiatrischen Diagnosen, z. B. Verfolgungswahn im Rahmen einer Schizophrenie oder Pädosexualität. Andere prognostische Syndrome haben aber nichts mit Diagnosen zu tun, z. B.
ein Dominanzfokus: das ist eine stabile, in der Persönlichkeit verankerte Bedürfnislage, gegenüber anderen Menschen eine dominante Position einzunehmen;
eine chronifizierte Vergewaltigungsdisposition: das ist eine stabile und unabhängig von bestimmten Situationen oder Zeiten bestehende Disposition, gewalttätige Sexualität als attraktiv zu erleben;
eine delinquenz-fördernde Weltanschauung: das sind Überzeugungen und Glaubenseinstellungen, die die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Straftaten erhöhen, z. B. religiöse Überzeugungen bei Selbstmordattentätern oder die Meinung, als Ehemann die völlige Verfügungsgewalt über die eigene Ehefrau zu haben.
    MH: Sie haben die Begrifflichkeit Persönlichkeits- und Situationstäter geprägt. Was ist damit gemeint?
    FU: Bei Persönlichkeitstätern handelt es sich um Personen, die solche gerade benannten, risikorelevanten Persönlichkeitsmerkmale fest in ihrer Persönlichkeit als Eigenschaften verankert haben. Diese risikorelevanten Persönlichkeitsmerkmale führen zu einer Motivation, bestimmte Straftaten zu begehen. Aufgrund dieser Motivation wartet der Persönlichkeitstäter nicht auf eine sich bietende Gelegenheit, sondern er schafft sich aktiv Situationen, in denen er Straftaten begehen kann. Beispiel: Die Beziehungs- und Sexualitätswünsche eines Kernpädosexuellen sind grundsätzlich auf Minderjährige ausgerichtet. Das (risikorelevante) Persönlichkeitsmerkmal „Pädosexualität“ führt zu einer nachhaltigen Motivation für entsprechende reale Kontakte. Die nachhaltige Motivation führt häufig dazu, dass die Person aktiv Situationen sucht und schafft, in der solche Kontakte (bzw. Übergriffe) möglich werden. Anders der Situationstäter. Er weist in seiner Persönlichkeit keine oder nur sehr schwach ausgeprägte risikorelevante Eigenschaften auf. Er wird nur in sehr speziellen, unwahrscheinlichen Situationen eine Straftat begehen.
    Einfach gesagt: Beim Persönlichkeitstäter ist die Person der determinierende Faktor für die Straftat, beim Situationstäter ist es hingegen die Situation. In unseren Breiten sind die meisten Gewalt- und Sexualstraftäter Persönlichkeitstäter.
    MH: Wie lassen sich die Rückfallrisiken von Straftätern verringern?
    FU: Theoretisch gibt es zwei Ansatzpunkte, um Rückfallrisiken zu senken. Das Risiko sinkt, wenn sich die Ausprägung risikorelevanter Persönlichkeitsmerkmale verringert. Bei diesem Weg handelt sich also um eine Persönlichkeitsveränderung im engeren Sinne. Der zweite Ansatzpunkt besteht darin, dass protektiv wirksame Kompensationsfähigkeiten entwickelt werden, z. B.:
die Erhöhung deliktpräventiver Steuerungsfähigkeit,
das frühzeitige Erkennen von Risikoentwicklungen,
das Nachfühlen des Opfererlebens,
die genaue Kenntnis eigener Deliktmechanismen (z. B. eigene Risikoentwicklungen frühzeitig erkennen können),
das Vermeiden von risikoerhöhenden Stimuli,
die Einbindung in protektiv wirksame Behandlungs- und Betreuungssettings
    und vieles mehr.
    MH: Das heißt: Sie kümmern sich gar nicht um die Entstehung der Persönlichkeit, die dann Straftaten begeht, und arbeiten das nicht auf, sondern Sie konzentrieren sich ausschließlich darauf, zukünftige Delikte zu verhindern?
    FU: All den von mir hier genannten Elementen ist gemeinsam, dass sie das Risiko, eine Straftat zu begehen, nicht dadurch vermindern, dass sie die gesamte Persönlichkeit des Betreffenden verändern. Vielmehr handelt es sich um sowohl in Gedanken wie in (Körper-)Gefühlen verankerte Kenntnisse und Fähigkeiten, die gegen deliktrelevante Handlungsmotivationen eingesetzt werden können, in der Art: „Ich spüre das Bedürfnis, aber kann

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