Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
offen für Sachen, an die ich früher nie gedacht habe. Es gibt so viele interessante Nuancen und Feinheiten im Leben, die mir nun allmählich zugänglich und erlebbar werden – dieses neue starke Gefühl der Selbstbestimmung und Lebensfreude lässt mich aufblühen und – ich werde gesehen!
MH: Ihrer Beobachtung nach: Wer hat eine Chance, sich tatsächlich zu verändern, und wer eher nicht?
HL: Nur wer sich verändern will und dranbleibt, hat primär die Chance, sich verändern zu können. Der Wille muss schon da sein! Ansonsten geht nichts und Zwangstherapien bringen aus meiner Sicht nichts.
MH: Geht es nur darum, die Fantasien mit viel Aufwand zu unterdrücken und dadurch in Schach zu halten – oder worum geht es, wenn etwas wirklich anders werden soll?
HL: Zwangsfantasien auf Dauer unterdrücken zu wollen funktioniert niemals! Je länger ich sie unterdrücke oder von mir weise, umso intensiver wird das Verlangen nach ihnen. Wenn ich etwas verändern will, muss ich als Erstes die Fantasien als einen Teil von mir akzeptieren. Sie sind ein Teil von mir. Ich darf das nicht werten! Sie machen mich aus, gehören zu mir, das bin ich. Wenn ich sie als zu mir gehörend begriffen habe, kann ich mit ihnen arbeiten. Ich kann sie hervorholen und wieder weglegen – ohne Zwang und ohne Scham. Ich hole sie aktiv hervor und ich lege sie aktiv wieder weg. Ich bestimme das – und nur ich! Wenn ich das oft genug aktiv mache, wird sich der Zwang, sie hervorholen zu müssen, allmählich auflösen. Die Fantasien werden kontrollierbar. Sie sind zwar noch da, aber ich kann sie kontrollieren. Ich bin ihnen nicht mehr ausgeliefert, sondern ihr gleichberechtigter Partner. Ich kann mitbestimmen und mitreden, wann ich was machen will. Das ist wichtig, um die Fantasien mit fachlicher Hilfe irgendwann in eine andere, ungefährliche oder zumindest weniger gefährdende Richtung lenken zu können. Es geht also nicht um deren Unterdrückung, sondern vielmehr darum, mit ihnen adäquat umgehen zu lernen, ohne dass dabei Menschen zu Schaden kommen.
MH: Sie haben eine Frau getötet, als Sie damals Ihre Fantasie ausgelebt haben (siehe Wick & Schmitt 2012). Ich weiß, Sie wissen – das kann man nicht „wiedergutmachen“. Aber was dann? Wie gehen Sie damit um? Drücken Sie es weg? Denken Sie ab und zu daran, und wenn ja, wie? Haben Sie versucht, eine Art „Kompensation“ zu finden – irgendetwas „Gutes“ zu tun, das etwas von der enormen Schuld nimmt, die Sie da auf Ihren Schultern (oder wo auch immer) haben? Oder empfinden Sie nur Leere, wenn Sie daran denken?
HL: Natürlich denke ich ab und zu an die Tat. Was ich gemacht habe, kann ich ja nicht einfach vergessen – und verdrängen geht auch nicht. Es gibt immer wieder Situationen, wo ich mit meiner Tat direkt oder indirekt konfrontiert werde. Sei es durch Therapiegespräche, durch Medienberichte über aktuelle Ereignisse, die hier in der Anstalt, unter den Insassen, immer mal wieder für heftige Diskussionen sorgen, oder auch durch die regelmäßig wiederkehrenden Gutachtergespräche, wo dann die Tat jeweils ganz genau angeschaut wird.
Ich habe eine Art „Kompensation“ gefunden, indem ich meine Fantasien in unendlich vielen Therapiestunden offengelegt und ausgeleuchtet habe. Vielleicht können jetzt auch andere Betroffene, die meine Geschichte gelesen und verstanden haben, für sich etwas herausziehen – und gar die verhängnisvolle Deliktschiene vermeiden oder noch früh genug abspringen. Vielleicht können durch meine Schilderungen weitere Opfer verhindert werden. Das ist das, was ich machen kann. Die enorme Schuld bleibt aber bestehen.
Mittlerweile habe ich auch emotional den Zugang zur Tat gefunden. Wenn ich da verweile, fühle ich mich manchmal eingehüllt in Trauer und Schmerz. Berührende Stille kehrt jeweils ein und füllt die Leere. Solche Momente der Besinnung gelingen mir nicht so oft, aber hin und wieder erlebe ich sie hautnah.
Interview 11: „Das Prinzip der Prävention muss gleichrangig sein mit dem Schuldprinzip“
Ein Gespräch mit dem Forensik-Experten Prof. Frank Urbaniok
Vorbemerkung: Frank Urbaniok ist es in unserer Korrespondenz wichtig gewesen, seine Terminologie zu verwenden. Seine Ansichten etwa zur „Persönlichkeit“ von Straftätern sowie zu Schuldfähigkeit, Prävention von (weiteren) Straftaten und der Fachdiskussion zum angeblich mangelnden „freiem Willen“ von Tätern werden viele LeserInnen interessieren.
Michaela Huber: Welche
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