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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Gewalt unterbrochen wird: mehrere Alltags-Ichs) entwickeln und ihre abgespaltenen anderen Zustände häufig gar nicht bemerken – bis es zu starken körperlichen Problemen kommt wie Krämpfen, Einnässen / Einkoten, „unerklärlichen“ Schmerzsyndromen. Und es gibt Kinder, die beides haben: Gefühlsstürme und Nichtfühlen / Nichtwissen / Abgeschaltet-Sein. Die beiden letztgenannten Gruppen sind die schwereren dissoziativen Störungen, die auch als „komplexe dissoziative Störungen“ bezeichnet werden; dazu gehören die Ego-State-Störung, die unter DDNOS (schwere dissoziative Störung, aber nicht multipel) diagnostiziert werden bzw. die DIS (dissoziative Identitätsstörung).
    Wenn ein Kind sehr viele Schreckerlebnisse hat und nicht getröstet wird, dann wird der Aufbau seines Gehirns stark beeinträchtigt. Es kann vielleicht sein, dass seine linke Hirnhälfte unzureichend mit Nervenzell-Netzwerken versorgt wird; dass der Balken zwischen den Hirnhälften unzureichend ausgeprägt ist; dass damit die Integration der Erfahrung sozusagen nicht nur unterbrochen, sondern aufgrund von „Hardware-Problemen“ des Gehirns nur unzureichend möglich ist. Dafür aber kommt es zu einer Überempfindlichkeit in manchen Schaltkreisen des Zwischenhirns und des Stammhirns – also in älteren Hirnregionen als dem Großhirn –, sodass auf Stress sehr rasch und sehr massiv mit ganz archaischen, atavistischen Reaktionen am Verstand vorbeireagiert wird: mit Angst, Panik, Schreckstarre, dem Ausschalten des Alltagsverstandes und dafür vielleicht einer totalen Unterwerfung unter die Situation. Das Kind, den später Jugendlichen oder erwachsenen Menschen lässt dies hinterher zutiefst beschämt zurück: „Wie konnte ich nur ...?“ Nicht selten fehlt dem Kind, wenn es wieder alltagsmäßig denken kann, sogar die Erinnerung: „Da war doch nichts. Wieso zittere ich denn noch? Ich stelle mich sicher nur an.“
    Frühe Hilfe ist wichtig
    Das „Timing“ der Schädigung ist wichtig. Das bedeutet: Je früher beim Kind durch massiven Stress seine Hirnentwicklung und damit der Aufbau seiner Stressreaktionsmöglichkeiten beeinträchtigt werden, desto gravierender sind die Folgen. Das bedeutet in der Konsequenz natürlich: Es ist ganz entscheidend für ein solches Kind, dass möglichst rasch von außen Hilfe kommt, damit die Schädigungen für seine gesamte Persönlichkeit nicht immer schlimmer werden. Denn lange Zeit ist noch viel zu machen, ist eine Nachreifung in relativ kurzer Zeit möglich, weil durch gute Bindungserfahrungen die entsprechenden Gene wieder auf „An“ geschaltet werden können, wie zahlreiche Berichte von KindertherapeutInnen und viele Studien zeigen (siehe die Gespräche mit  Karl Heinz Brisch  und  Jacqueline Schmid  in diesem Buch); schwere (psychiatrische) Folgen wie PTBS und Depression treten oft erst später auf, sodass gilt: Je früher eingegriffen wird, desto besser!
    Denn es ist mindestens so, wie der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth behauptet: „Der allergrößte Teil [der Persönlichkeitsentwicklung] wird durch die frühkindliche Erfahrung bestimmt. Mit 15 ist man zu 80 % fertig; von der Persönlichkeit eines 15-Jährigen kann ich mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen, wie er mit 50 sein wird ... Je früher Traumatisierungen passieren, desto schlimmer. Erlebt die Mutter in der Schwangerschaft grässliche Dinge und wird das Kind nach der Geburt nochmals geschädigt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es später psychisch krank wird, sehr groß“ (2012, S. 52).
    Das eine ist also, dem Kind möglichst gute Bedingungen für sein Heranwachsen zu bieten, damit es – wie alle Menschen – „System 1“ und „System 2“ entwickelt, also Intuition und Alltagsbewusstsein, die nie so ganz genau miteinander harmonieren. Das andere ist es, wenn Kinder zusätzlich durch massiven frühen Stress zu Aufteilungen in ihrer Persönlichkeit in verschiedene Abteilungen, Zustände, Persönlichkeitsanteile gezwungen werden: Einerseits in solche, die in der Lage sind, Alltagsanforderungen zu bewältigen, wie andere zu versorgen, ganz normale Gespräche zu führen oder in Schule, Ausbildung und Beruf zu funktionieren. Und andererseits in Zustände, die den enormen Stress widerspiegeln, den sie erlebt haben, und zwar fast 1:1. Panikattacken, Schockstarre, Wutanfälle oder das erschlaffende totale Aufgeben sind typisch für solche trauma-nahen Zustände. Schwierig wird auch, wenn diese das Alltagsbewusstsein beim

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