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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Kontrolle hätte.
    Nur eines hilft, das zu verändern: die Gegenwart einer stabilen, verlässlichen, ermutigenden und so kompetenten Bindungsperson, dass man ihr zutraut: „Die holt mich zur Not immer wieder aus dem Schrecken raus und schafft es, dass ich mich wieder in der Gegenwart verankern kann.“
    Doch was tun, wenn man früh das Vertrauen in andere Menschen verloren hat, weil die ja gerade dafür verantwortlich waren, dass man so schlimme Dinge erlebt hat? Wie können bindungsgeschädigte kleine und große Menschen lernen, sich so weit anzuvertrauen, dass der wichtige Veränderungsprozess stattfinden kann? Oder ist Biologie doch Schicksal? Wer wird ein ewiges Opfer bleiben, wer wird zum Täter werden? Ist das Gehirn früh traumatisierter Kinder irreparabel geschädigt? Fragen über Fragen und es gibt offenbar Antworten, auch wenn sie nicht eindimensional sind.

4. Kleine Studie in Bösartigkeit – und ihrer Verwandlung
    „Wer einen Menschen ändern will, muss ihn erst einmal respektieren.“
    Romano Guardini
    Die zwei Menschen in meiner Kindheit, die ich wohl am intensivsten studiert habe, sind meine Mutter und meine Großmutter. Es ging mir vergleichsweise gut in diesem „Drei-Mädel-Haushalt“, denn ich konnte mich, wie man damals sagte, „verkrümeln“, also stillhalten und beobachten oder mir irgendwelche Aufträge besorgen und nach draußen gehen, während meine Mutter und meine Großmutter einander in intensiver Hass-Liebe zugetan und viel mehr miteinander als mit mir beschäftigt waren.
    Die dominante Person in diesem Haushalt war eindeutig und lange Zeit meine Großmutter. Sie war klein, drahtig, bis ins hohe Alter wieselflink und stolz darauf, früher einmal „tizianrote Haare“ gehabt zu haben, mit allem, was das an Temperament bedeutete. Liebevolle Worte kamen ihr erst als Greisin über die Lippen, vorher war sie eher „rack“, wie man im Rheinland sagt: kurz angebunden, jähzornig und eher rau. Sie erzählte zwar wenige Anekdoten, die aber immer wieder. Dass sie zwei Weltkriege überlebt hatte, oft „ausgebombt“ wurde und immer wieder neu anfangen musste. Dass sie gehungert und „gehamstert“ hatte, um überleben zu können. Dass sie „mit der heißen Nadel“ als Schneiderin große Teile ihrer Herkunftsfamilie und ihre Tochter ernähren musste, in dem ungeliebten Beruf, den ihr Vater ihr aufgezwungen hatte, obwohl die Lehrer damals zu ihr, der besten Schülerin der Schule, nach Hause gekommen seien und den Vater „bekniet“ hätten: „Lassen Sie das Kind noch mehr lernen!“ Der aber habe geschrien: „Wir sind alle Arbeiter! Das Kind geht arbeiten! Außerdem brauchen wir das Geld!“ Und dagegen sei kein Ankommen gewesen. Ihren Vater hätten alle gefürchtet, er sei ein Despot gewesen. Zwischen den Zeilen hörte ich: Er hatte seine Frau, meine Urgroßmutter, oft vergewaltigt und misshandelt; von deren 13 Kindern überlebten nur neun. Auch die Kinder, darunter meine Großmutter, wurden von ihm massiv und auf unberechenbare Weise gequält und erhielten auch schon als junge Menschen Hausverbot, wenn ihm etwas nicht passte. – Sie wurden einfach ausgesperrt, auch wenn die Mutter noch so sehr bettelte und bat und die Hände rang. Die Geschwister litten sehr, vor allem weil sie ihre Mutter so leiden sahen, ohne helfen zu können. Meine Urgroßmutter starb mit 66 Jahren elend an Magenkrebs.
    Meine Großmutter war fleißig, enorm diszipliniert, konnte aber auch feiern und hatte ihr „Kaffeekränzchen“, das sich regelmäßig ein paarmal im Jahr traf. Ansonsten ging sie nicht aus – und sie sorgte dafür, dass meine Mutter es auch nicht tat und ich bis zu meinem Auszug mit 20 Jahren regelmäßig abends um acht zu Hause war. Meine Mutter und mich einte, dass wir beide immer bemüht waren, es mit der „Ommi“, wie ich sie nannte, nur ja nicht zu verscherzen. Denn meine Großmutter hatte eine nicht zu unterschätzende sadistische Ader. Mir war früh klar: Sie hatte zu Hause das Sagen, oder um einen Spruch aus unserer Familie zu zitieren: „Tante Lieschen hat zu Hause die Hosen an.“ Damit hatte ich also einen despotischen Vater-Ersatz und eine weiche, durchaus liebevolle, aber mit vielem überforderte und stets übermüdet von der Arbeit sich heimschleppende, bei der Tagesschau schon einschlafende Mutter zu Hause. „Ommi“ duldete keine Geheimnisse. Das verschlossene Tagebuch der Pubertierenden wurde aufgeschnitten, gelesen, tagelang mit steinernem Gesicht beschwiegen und war

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