Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
einfach vor, Ihr Unbewusstes wäre ein kleiner verängstigter Welpe, der sich wahnsinnig erschreckt hat [Anm. MH: Sie hatte mir geschrieben, dass sie Hunde liebt]; so wie Sie den trösten würden, so trösten Sie vielleicht auch am besten Ihr Innenleben.“
Woraufhin Martha fragte, wie sie das denn bewerkstelligen solle, sich innerlich zu trösten? Sie habe das doch nie gelernt, weil ihre Mutter ihr immer verboten hatte zu weinen. „Wenn ich weinte, wurde es nur schlimmer“. Ich riet ihr, einfach nach innen freundliche Gedanken und Selbstgespräche zu richten und sich zu sagen, dass sie jetzt immer darauf achten werde, sich nicht wieder in Gefahr zu bringen.
Darauf schrieb sie: „Der Schrecken hat etwas nachgelassen, darf halt nur nicht daran denken. Was bin ich froh, dass Sie mir die Zusammenhänge so gut erklären und ich dadurch zu verstehen lerne, warum meine Psyche wieder mal ein seltsames Spiel mit mir treibt! Ich würde ja auch gern meinen inneren Helferlein Trost spenden, aber ich muss zugeben, dass es mir einige Schwierigkeiten bereitet, diese ,Selbstgespräche‘ mit meinem Innenleben zu führen. Ich habe den gefühlten Eindruck, dass keiner mir zuhört. Vielleicht mache ich es verkehrt, sollte ich meine zwei namentlich bekannten Innenpersonen direkt ansprechen?“
Dies war das erste Mal, dass Martha erwähnte, „Innenpersonen“ zu haben.
Darauf antwortete ich: „Es ist auch alles andere als einfach, einen Weg zu finden, das eigene Innenleben zu trösten. Und ja, ich würde die Innenpersonen, die Sie schon namentlich kennen, an Ihrer Stelle vermutlich sehr freundlich ab und zu ansprechen, und manchmal würde ich sie auch, so freundlich wie möglich, fragen, ob sie mir vielleicht helfen können.“
Wie solle das denn gehen, war ihre prompte Rückfrage, worauf ich antwortete: „Das werden sie Ihnen dann schon mitteilen. Nur Mut, ein wenig Zutrauen, ein bisschen Respekt vor den Innenpersonen und eine freundliche Ansprache – und vorsichtig zuhören. Vielleicht aufschreiben und dann mal überlegen, was sie Ihnen mitteilen wollen.“
Einige Stunden später kam die nächste Mail: „Gut, das mache ich. Mal sehen, ob und wie der Kontakt gelingt und wenn, dann werde ich es aufschreiben. Danke für den Tipp!
Etwas am Rande: Sie sind wunderbar und ich mag Sie sehr!“
Es ist die Frage, wer das Letztere schrieb: die Alltagsperson – oder die Innen„personen“? Also die anderen Anteile jenseits des Alltags-Ichs, die jetzt möglicherweise das Gefühl hatten: Da ist eine draußen im „Orbit“, die dazu ermutigte, dass sie Gehör fänden ...
3.2 Spaltung zwischen außen und innen
Ja, das Bewusstsein denkt und das Unbewusste lenkt. Und beide können sich gar nicht so leicht verständigen. Traumatisierte Menschen haben es dabei besonders schwer, denn die Spaltung zwischen außen und innen, Alltags-Ich und Innenleben, ist bei ihnen besonders ausgeprägt.
Die strukturelle Dissoziationstheorie pflegt die Spaltungen Alltags-Ich – Innenleben, die durch toxischen, also traumatischen Stress entstehen, auf drei Ebenen darzustellen, wobei jeder dieser Ebenen bestimmte Diagnosen entsprechen. In zahlreichen Artikeln und Büchern habe ich bereits versucht, diese komplexe Theorie sozuagen in Alltagssprache zu übersetzen und sie teilweise durch eigene Erkenntnisse zu ergänzen bzw. sie auf Kompatibilität mit anderen Trauma-Theorien zu prüfen (s. Huber 2010, 2011). Das Grundsätzliche greife ich an dieser Stelle noch einmal auf, denn es gibt viele Betroffene unter meinen LeserInnen, die im Laufe ihres Lebens einige sehr unterschiedliche Diagnosen erhalten haben; von daher ist es vielleicht durchaus sinnvoll sich zu überlegen: Wo, auf welche Ebene der Dissoziation passt eigentlich meine Diagnose?
Abbildung 1: Strukturelle Dissoziation
ANP: Alltags-Ich nach traumatischer Einwirkung. EP: emotionale Persönlichkeitsanteile, die trauma-nah sind in ihrem Denken, Fühlen und Erleben (nähere Erläuterungen siehe Huber 2011, S. 45 ff.).
Das Schaubild enthält drei Ebenen und es lohnt sich, diese zu verstehen:
Ebene 1 der strukturellen Dissoziation enthält eine einzige ANP, also ein Alltags-Ich, das vom Trauma distanziert, eher betäubt und teilweise amnestisch für Traumainhalte ist, und im Wesentlichen eine EP (also emotionale Persönlichkeitsanteile, ggf. mit mehreren unterschiedlichen Zustandsqualitäten), die mit Flashbacks und anderen Wiedererlebens-Qualitäten des Traumas zu tun hat /
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