Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
haben.
Entsprechende Diagnosen, die mit dieser Ebene von Dissoziation verbunden sein können – nur damit Sie, falls Sie selbst traumatischen Stress erfahren haben und solche Diagnosen bekommen haben, sie zuordnen können: Auf der ersten, also der primären Ebene der strukturellen Dissoziation finden sich unkomplizierte Formen von traumabedingten Störungen wie einfache akute Belastungsreaktion, einfache Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), einfache dissoziative Amnesie und einfache somatoforme dissoziative Störungen (z. B. Konversionsstörungen nach DSM-IV oder dissoziative Bewegungs- und Empfindungsstörung nach ICD-10). Für Laien: DSM und ICD sind Diagnose-Handbücher.
Ebene 2 beinhaltet die Aufteilung des emotional abgespaltenen, trauma-nahen Innenlebens, also der sogenannten EP, in mehrere Untergruppen, sogenannte defensive Subsysteme. Dazu gehören Hypervigilanz, das heißt übermäßige Schreckhaftigkeit; Fluchtimpulse; die Tendenz zum Starrwerden und „Einfrieren“ (Freeze), wie sie z. B. Martha in der Sauna-Situation erlebte; die Tendenz, sich wild zu verteidigen bzw. zu kämpfen (um sich zu schlagen etc.) oder zu erschlaffen und sich total zu unterwerfen; weiter gehören dazu der „Bindungs-Schrei“ (z. B. das unkontrollierbare „Hilfe!“-Schreien) bzw. die unwillkürliche Tendenz, sich zu verkriechen, um sich zu erholen. Jede dieser EPs hat ein noch eingeengteres Bewusstseinsfeld als bei Stufe 1, sodass ihre Erfahrungswelt und ihr Verhaltensrepertoire auf eine oder zwei spezifische Reaktionsweisen begrenzt sind.
Die sekundäre strukturelle Dissoziation (Stufe 2) findet man bei komplexeren traumabedingten Störungen wie den komplexen Formen der akuten Belastungsreaktion, der komplexen PTBS, bei traumabedingten Persönlichkeitsstörungen wie Borderline, DDNOS (nicht näher bezeichnete dissoziative Störung), bei komplexer dissoziativer Amnesie und komplexen somatoformen dissoziativen Störungen.
Ebene 3 bedeutet, dass sich nicht nur mehrere EPs, sondern auch mehrere ANPs gebildet haben, was bedeutet: Mehrere Alltags-Ichs teilen sich die normalen Alltagsfunktionen von Fürsorge für andere, alltäglichem Funktionieren und normalem Beziehungsverhalten. Diese tertiäre Ebene der strukturellen Dissoziation ist beschränkt auf die dissoziative Identitätsstörung (DIS), die häufig mit komplexer PTBS oder Persönlichkeitsstörungen einhergeht.
Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (K-PTBS)
Die schon erwähnte komplexe Posttraumatische Belastungsstörung hat etwas damit zu tun, dass ein Mensch früh im Leben, also bereits als kleines Kind, über lange Zeit bestimmten Hochstress-Erfahrungen ausgesetzt war wie frühen Verlusten von primären Bindungspersonen, Vernachlässigung, Verwahrlosung und Gewalt. Unter diesen Umständen kann sich eben diese komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (K-PTBS) – eine besondere Form von chronischer Stressreaktion – ausbilden.
Ihre Kernmerkmale sind: Störungen von Affekten und Impulsen (Gefühlszustände nicht kontrollieren können), dissoziative Störungen des Bewusstseins (Entfremdungserlebnisse in der Wahrnehmung, Gedächtnisstörungen), Störungen der Selbstwahrnehmung (Stigmatisierungsgefühle, Schuld, Scham, unzureichende Selbstfürsorge); Störungen in der Beziehung zu anderen Menschen (Bindungsstörungen), Somatisierungsstörungen (körperlich fühlbare Probleme, für die es keine rein akute körperliche Störung gibt) sowie eine im Vergleich zu anderen Menschen veränderte Form von Lebenseinstellungen (chronische Verzweiflung und Lebensangst, Zynismus, Verlust des Glaubens an das Gute im Menschen oder an ein freundliches Schicksal etc.).
Wie kommt es zur Fragmentierung?
Alles das bedeutet: Unter den traumabedingten Störungen, besonders wenn die Traumata früh begonnen haben, gibt es weit mehr als „System 1 versus System 2“, um mit Daniel Kahnemann zu sprechen. Sondern es kommt zu einer Aufteilung der Persönlichkeit in Alltagsfunktionen einerseits und in häufig sehr trauma-nahe und sehr stark zersplitterte, von starken und unangenehmen Gefühlen geprägte Bereiche des Innenlebens andererseits. Je früher und massiver und länger andauernd der erlittene Stress, desto fragmentierter die Persönlichkeit.
Diese Fragmentierung oder Aufteilung erfolgt nicht zufällig. Es ist nicht so, dass die Persönlichkeit eines Kindes einer ganzheitlichen Gestalt gleichkäme (vielleicht schon mit System 1 und System 2), die durch Ereignisse wie
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