Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
zurück, der 63-Jährige hatte sich der Polizei gestellt und befand sich in stationärer psychiatrischer Behandlung, wie die Polizei am Sonnabend mitteilte. Als er am Freitagnachmittag in Begleitung zweier Pfleger persönliche Dinge aus seiner Wohnung in dem Ort im Oberharz holen wollte, traf er vor dem Haus auf die Eltern des Mädchens. Der 41-jährige Vater schlug unvermittelt auf den 63-Jährigen ein und würgte ihn. Die 38-jährige Mutter, die hinzukam, attackierte den Mann ebenfalls.
Der mutmaßliche Sexualstraftäter konnte schließlich vor den aufgebrachten Eltern und weiteren Nachbarn in den nahe gelegenen Wald flüchten. Wie die „Goslarsche Zeitung“ in ihrer Wochenendausgabe berichtete, wurde er von einzelnen Bürgern aus St. Andreasberg verfolgt. Im Ort sei die Angst vor dem Mann umgegangen. Eltern hätten ihre Kinder nicht mehr auf die Straße gelassen und weggesperrt. Der Flüchtige wurde schließlich eine halbe Stunde später von der Polizei aufgegriffen und zur Untersuchung seiner Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Nach der ambulanten Behandlung ging er zurück in die Psychiatrie. Gegen den 63-Jährigen ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen schweren sexuellen Missbrauchs der Kinder. Er sei geständig und selbst erschüttert über seine Taten, hieß es vonseiten der Strafverfolgungsbehörde. Daher habe er sich auch gestellt. Vorher war der Mann nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass keine Wiederholungsgefahr besteht. Ein Haftbefehl wurde nicht beantragt.
Den Eltern, die auf den Mann einprügelten, droht nun ein juristisches Nachspiel. Die Polizei leitete gegen den Mann und seine Ehefrau ein Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ein.
Man bemerke: Die Staatsanwaltschaft hält den Mann, der zwei Kindern eingestandenermaßen sexualisierte Gewalt angetan hat – ohne Gutachten! – für harmlos („... geht davon aus, dass keine Wiederholungsgefahr besteht. Ein Haftbefehl wurde nicht beantragt“). Die Eltern des Ortes, die ihre Kinder schützen wollten, weil der Mann wieder im Ort war, werden indirekt der Hysterie beschuldigt (sie hätten „ihre Kinder ... weggesperrt“). Wem gelten in diesem Artikel die Sympathien? Wer wird hier als harmlos dargestellt, wer als gefährlich? Und wie gefährlich sind eigentlich solche verharmlosenden und tendenziösen Zeitungsartikel? Fragen über Fragen. Die würde ich gern dem Verfasser des Artikels stellen.
Beginnen würde ich aber mit: Haben Sie schon einmal Lust gehabt, Gewalt gegen jemanden anzuwenden? Und: Waren Sie als Kind Gewaltattacken selbst ausgesetzt? Ich glaube nämlich, dass nicht klarsehen und schreiben kann, wer sich nicht mit Gewalt und den Folgen – auch in der eigenen (Familien-)Geschichte auseinandergesetzt hat.
9. Wann werden Täterintrojekte aktiv?
Wir alle können „böse“ sein. Wir können uns selbst böse sein, indem wir uns beschuldigen (Ich bin selbst schuld!), uns zutiefst schämen (Wie peinlich!), gegen uns Groll hegen (Das habe ich versiebt!), uns gram sind (Das kann ich nie wieder gutmachen!) und uns aufgeben (Bei mir hat doch alles keinen Zweck!).
Wir können aber auch anderen böse sein, indem wir sie beschuldigen (Du bist das schuld!), sie beschämen (Das ist ja so blöd und peinlich, was du da gemacht hast – schäm dich!), ihnen grollen (Nichts kannst du richtig machen!), ihnen gram sind (Dann sieh mal zu, ob du das jemals wieder gutmachen kannst!) und sie aufgeben (Bei dir ist doch Hopfen und Malz verloren!).
Je nachdem, wie wütend wir dabei sind, können im ersteren Fall Selbsthass und Selbstschädigungstendenzen dabei herauskommen (viel Alkohol trinken, viele Medikamente oder Drogen nehmen, sich selbst verletzen, sich verkriechen, sich selbst vernachlässigen und / oder in Unfälle „geraten“...). Im zweiten Fall kann man Gewalt gegen andere ausüben: seelische Quälereien (Versager! Hätte ich dich doch nie geboren / kennengelernt / geheiratet ...), körperliche (Wegschubsen, Ohrfeigen, Boxen, Treten, Würgen, mit Gegenständen prügeln ...) oder sogar sexualisierte (die / den andere/n zu sexuellen Handlungen zwingen) – das alles, um sich „abzureagieren“. Und bei einigen speichern sich Frust, Groll und Hass langsam mehr und mehr an; nach außen wirken sie oft unbeteiligt und freundlich und eines Tages explodieren sie.
Fachleute streiten noch, ob ein Teil dieses stark von Gefühlen wie Hass und Groll „getränkten“
Weitere Kostenlose Bücher