Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
schlechten Benehmens („Abreagieren“ bzw. „Explodieren“) einfach angeboren ist, eine Art amoklaufende natürliche Aggression bzw. Selbstverteidigung. Oder ob es erworben wird. In diesem Buch beschäftigen wir uns mit den erworbenen Aggressionen. Wir beschäftigen uns mit den nach innen oder außen heftig und zerstörerisch wirkenden Kräften, die durch Anschauung gelernt (als Zeuge von Gewalt zwischen Erwachsenen, etwa zwischen den Eltern, oder der Gewalt von Erwachsenen gegen Kinder oder Tiere) oder am eigenen Leib erfahren (selbst seelisch gequält, körperlich oder sexualisiert misshandelt worden zu sein) im Innern ein Eigenleben entwickeln. „Man hört sich Sachen sagen, die man nie sagen wollte. Man sieht sich Dinge tun, die man nie tun würde. Nun, die Tat trägt meine Fingerabdrücke. Ich bin ein Monster“, hat mir eine Klientin einmal geschrieben.
Wenn wir uns nicht damit begnügen wollen, das für biologisch gegeben zu halten, werden wir uns mit dem „Monster“ beschäftigen und herausfinden müssen, wie „das Monster“ denkt, was es sagt, was es will, was es zu tun beabsichtigt oder schon getan hat. Über kurz oder lang wird in jedem Fall bei jeder längerfristigen Beratung oder Psychotherapie (oder Ergotherapie, Tanztherapie, Kunsttherapie etc.) mit einem / einer Gewaltüberlebenden das Thema auftauchen. Jedenfalls dann, wenn eine KlientIn genügend Vertrauen zum Gegenüber aufgebaut hat – denn wer zeigt schon einem anderen gern seine hässlichsten Seiten?
9.1 Welche Täterintrojekte gibt es?
Täterintrojekt-Anteile werden entweder dann in die Persönlichkeit aufgenommen, wenn man das (erwachsene) Gegenüber lange studiert hat. Oder in überwältigenden Momenten, dann aber in abgespaltener Form und ohne, dass man innerlich so ohne Weiteres den Zugang dazu hätte.
Wir alle haben unsere Eltern z. B. gut verinnerlicht, in ihren positiven, aber auch negativen Seiten. Viele von uns mussten sich damit auseinandersetzen: In mancher Hinsicht bin ich wie mein Vater (so musikalisch, lustig, an Technik interessiert etc.) und in mancher Hinsicht bin ich nicht wie mein Vater oder will nicht so sein (so jähzornig, unzuverlässig, gemein ...). Oder: In mancher Hinsicht bin ich wie meine Mutter (weich, sanft, geschickt etc.) und in mancher Hinsicht bin ich nicht so wie sie (ängstlich, depressiv, hilflos ...). Jede LeserIn wird bei näherem Nachdenken wissen, dass es eine ganz schöne Arbeit sein kann, das, was man durchaus von den Eltern aufgenommen hat, aber nicht haben will (gemein oder hilflos sein zum Beispiel), wirklich zu verändern. Dass man immer wieder auf Situationen trifft, in denen man überrascht und vielleicht sogar entsetzt feststellt: „Da habe ich mich verhalten, wie ich es an meinem Vater (meiner Mutter) nie leiden konnte, und es ist einfach passiert, obwohl ich das gar nicht wollte.“
Noch schwieriger ist eine Veränderung der in Momenten von existenzieller Not oder Todesnähe aufgenommenen Täterintrojekte. Wer, wie meine „Monster“-Klientin, erlebt hat, als Kleinkind vom alkoholisierten Vater an den Füßen gepackt und mit voller Wucht an die Wand geschleudert zu werden, hat im Innern irgendwo einen Anteil mit einer explosiven Wut und einer Neigung zum Alkoholtrinken, den sie verzweifelt in Schach halten will – mal mehr und mal weniger erfolgreich –, und einen Anteil, der immer wieder mit voller Wucht den Kopf gegen die Wand oder auf den Boden schlägt. Und dann noch einen Anteil, der den Knall und die Folgen – rasende Schmerzen und Ohnmacht – gespeichert hat und nichts so sehr fürchtet wie den alkoholisierten Wut-Teil oder den selbstverletzenden Selbst-Zustand. Wer verbale Hasstiraden von der Mutter erdulden musste („Hätte ich dich nie geboren, du verzogenes Balg, hau bloß ab und komm nie wieder!“ Oder: „Ich kann nicht mehr, ich bring mich um!“), wird die eigene Zunge hüten müssen, um Kindern oder anderen Menschen gegenüber nicht plötzlich auch so zu sprechen. Je schlimmer, abrupter, grausamer die erlebte Gewalt, desto schlimmer, abrupter und grausamer die täterimitierenden Anteile. Und da ein Kind unter dermaßen unerträglichen Bedingungen während der Einwirkung solcher Grausamkeiten dissoziiert (siehe Kapitel 3 „Erleben, Erinnern und Reagieren“ ), also nicht mehr einheitlich wahrnehmen und speichern kann, sondern nur noch fragmentiert, werden die unter solch traumatischen Bedingungen aufgenommenen Täterintrojekt-Anteile ein noch
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