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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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biologischen oder sozialen Nutzen haben sie? Auf den ersten Blick keinen: Die KlientIn wird gequält, innerlich aufs Äußerste gequält von diesen täteridentifizierten und täterloyalen Gedanken und Stimmen und Impulsen. Man kann sich nur wundern, dass es so vielen gelingt, nicht gegen andere zu richten, was sich in ihnen selbst als unerträgliche Drucksituation stets aufs Neue aufbaut. Innere Stimmen wiederholen, was der Täter sagte, wie er „tickte“ (fühlte, dachte), was er tat. Oder was sie tat. Denn das eine sind die statistisch betrachtet eher männlichen, oft einfach gewalttätigen Äußerungsformen von Täteridentifikation und ihre Widerspiegelungen im Innern: Hass (Selbsthass), Zerstörungswille (Selbstzerstörungsimpulse), Schuldzuweisungen (Schuldgefühle), Hemmungslosigkeit (Scham), Sadismus (Zusammenbruch) etc. Das andere sind die eher „weiblichen“ Formen, insbesondere der Täterloyalität im Innern von Überlebenden häuslicher und familiärer Gewalt: die Folgen von Verrat (Verlassenheit), Opferung (Opfermentalität), Verantwortungsabwehr (Schuldübernahme), Gleichgültigkeit (Suchttendenz), Depression (Verzweiflung) etc.
    Wozu ist das gut? Darauf kann es erst einmal nur eine Antwort geben: Es dient dazu, die Monstrosität und die Wucht der Gewalt und des Zusammenbruchs der (familiären) Schutzsysteme so auf mehrere Individuen zu verteilen, dass das Überleben des jeweiligen gesamten (Familien-)Systems ermöglicht wird. Biologische Systeme sind letztlich erst einmal auf eines ausgerichtet: auf das Überleben. Erst danach kommt das qualitativ gute Gedeihen, Wachsen und Verbessern.
    Wie es aussieht, wenn es in einem außer Rand und Band geratenen intergenerationalen System wie einer Misshandlungs-Familie um das schiere Überleben geht, können wir häufig studieren. Der klassische Fall in unserer patriarchalen Gesellschaft: Ein Mann verliert in Teilen oder vollständig seine Macht (er wird arbeitslos, trinkt übermäßig Alkohol, ist frustriert oder anderweitig gedemütigt, es droht eine Trennung von der Partnerin oder der soziale Abstieg ...) und er beginnt (vermehrt), Gewalt anzuwenden. Seiner Partnerin ist es nicht gelungen, einen wirklich stabilen Partner zu bekommen, stattdessen klammert sie sich an diesen nur äußerlich starken, innerlich aber angeschlagenen oder gebrochenen Mann; sie ist selbst nicht stark genug oder wurde nie ermutigt, ihre Träume vom besseren Leben auch ohne diesen Mann in die Tat umzusetzen. Sie schwankt, vielleicht droht sie ihm manchmal zu gehen, vielleicht trinkt sie mit ihm oder bagatellisiert seine Ausfälle, vielleicht hat sie dieses Kind und ggf. die anderen Kinder nur bekommen, weil sie sich soziale Anerkennung davon versprach, etwa in ihrer Herkunftsfamilie.
    Diese beiden hilflosen und unreifen Menschen laden dann ihre eigene Wucht der Verzweiflung auf die Kinder oder zumindest auf eines davon, das sie – in einem außerfamiliären System würde man sagen – mobben oder schlimmer noch: foltern. Dieses Kind ist an allem „schuld“; es ist nicht klug genug, nicht brav, nicht still genug, nicht schön genug, es ist einfach falsch. Es ist Müll. Man darf es missachten, auslachen, herumstoßen, es anschreien, es widerlich und ekelhaft finden (das ist psychische Misshandlung), darf es schütteln, an die Wand werfen, treten und schlagen, würgen und boxen, verbrennen und in die Dunkelheit bzw. Kälte aussperren (das ist körperliche Misshandlung); darf es an seinen „geheimsten“ Stellen reiben, beißen und kneifen, es penetrieren mit Händen und Penis und Gegenständen (das ist sexualisierte Gewalt). Das alles vielleicht sogar nach dem Motto: „Du bist doch meine Prinzessin“ – „Du bist so wie ich“ – „Ich will doch nur dein Bestes“ – „Wenn du das aushältst, wirst du besonders stark“ etc. Man darf das Kind verkaufen an andere, die es benutzen, darf es strafen, wenn es weint, darf einfach alles damit tun, alles. Darf es töten, wenn man das Gefühl hat, man kommt ungestraft davon; wenn nicht, versucht man, wenn bzw. weil es nicht „richtig“ ist, wenigstens seine Seele zu vernichten. Wenn es überlebt und „komisch wird“, darf man es abgeben bei Ärzten und Fachstellen, weil es „kaputt“ ist – die sollen es reparieren. Man darf das tun, damit man selbst am Leben bleibt und sich „richtig“ fühlen kann.
    Das scheint ein biologisch amokgelaufenes Gesetz der seltsamen Spezies Mensch zu sein. Oft bleiben diese (Familien-)Systeme

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