Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Stunde Einzel-„Therapie“ anbieten – und die behaupten, sie würden Traumatherapie machen. Das, liebe Leserin, lieber Leser, ist ein Etikettenschwindel! Hier will eine Klinik Geld machen. Denn Gruppentherapie ist billiger als Einzeltherapie. Viele deutsche Psychotherapie- und Psychiatrie-Kliniken sind privatisiert und die Eigentümer beuten ihre Mitarbeiter und auch die PatientInnen nach Strich und Faden aus. Man kann das wirklich nicht anders ausdrücken. Die KollegInnen werden bis auf das letzte Quentchen ihrer Kraft belastet, Personal allüberall eingespart. Gleichzeitig werden PatientInnen angelockt mit schönen Begriffen – und Traumatherapie ist „in“. Also werden viele Menschen enttäuscht diese Kliniken wieder verlassen. Schon haben die Krankenkassen festgestellt, dass eine stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen relativ sinnlos zu sein scheint, denn weder werden die PatientInnen schneller arbeitsfähig noch reicht ihnen ein Klinikaufenthalt. Im Gegenteil: Oft sind sie drei, vier oder mehr Male stationär mit derselben Erkrankung. Das ist sehr teuer für die Krankenkassen. Und frustrierend für die PatientInnen. Ein wesentlicher Grund dafür ist eben, dass man den PatientInnen eine Eins-zu-Eins-Therapie (Einzeltherapie) gar nicht oder in völlig unzureichendem Umfang anbietet. Dabei wäre das die einzige Therapieform, die hilft, wie man schon in der Behandlung traumatisierter Kinder bemerkt hat (siehe Interview 9 mit Karl Heinz Brisch in diesem Buch).
Doch es gibt noch weitere wesentliche Punkte, die beachtet werden sollten:
Ist die Motivation intrinsisch oder extrinsisch für den / die Ratsuchende/n? Täter werden anfangs ausschließlich extrinsisch motiviert sein: Sie wollen nicht (wieder) ins Gefängnis bzw. erhoffen sich eine Hafterleichterung. Sie gilt es überhaupt erst für die eigentliche psychotherapeutische Veränderungsarbeit, die schmerzhaft ist, zu gewinnen. Aber auch viele Menschen, die von sich aus zu PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen gehen, müssen erst gewonnen werden, sich von „Mir geht es so schlecht, helfen Sie mir!“ zu „Ich will mich ändern, helfen Sie mir bitte“ zu bewegen.
Mögen wir uns? Die TherapeutIn schaut sich die KlientIn daraufhin an, ob sie sie mag. Man sollte niemals, wirklich niemals, längere Zeit mit einer KlientIn arbeiten, die man nicht mag. Umgekehrt gilt genauso: Eine KlientIn / PatientIn oder wie auch immer die Begriffe für einen betroffenen Menschen lauten, sollte die Freiheit haben, genau zu schauen, ob sie die TherapeutIn mag, und sollte niemals längerfristig mit jemandem therapeutisch an der Veränderung ihrer Lebensumstände arbeiten müssen, den sie nicht mag. Weil die Therapie dann mit großer Wahrscheinlichkeit schiefgeht. Denn spätestens, wenn die „unliebsamen“ Bereiche der Persönlichkeit zum Vorschein kommen, die ganz andere, die schwierige, gemeine, bösartige Seite – oder wie auch immer man das nennen will, was wir hier als Täterintrojekte bezeichnen –, dann werden beide Beteiligten darauf angewiesen sein, einander grundsätzlich zu mögen und einander ausreichend zu vertrauen, um gemeinsam durch diese „Hölle“ zu gehen. Und es soll sich niemand TraumatherapeutIn nennen dürfen, der nicht prinzipiell zu einer solchen Arbeit bereit ist, sondern es nur „nett“ haben will! Genauso sollte niemand ein Recht auf einen Psychotherapieplatz haben bzw. ihn auf Dauer behalten, der partout nicht an seinen inneren destruktiven Anteilen arbeiten will!
Um festzustellen, ob beide zueinander passen, sind probatorische Sitzungen unerlässlich. Denn viele früh traumatisierte Menschen haben ein „nettes“ Äußeres, aber auch sehr andere, gar nicht nette Zustände bzw. Anteile. Früh traumatisierte Menschen haben durchweg intensive andere „Zustände / Anteile“, manche sogar innere „Leute“, die überhaupt nichts von der Therapie halten und sich vor Machtverlust fürchten und daher eher zur TherapeutIn in Konkurrenz gehen (siehe Interview 7, das Gespräch mit „Sandra“ ). Also sollten es genügend probatorische Sitzungen sein. Sehr oft reichen die fünf oder sechs von der Kasse genehmigten Stunden bei weitem nicht aus, sondern es müssen eher 25 bis 50 Stunden sein, bis die TherapeutIn und die KlientIn die innere Landkarte der KlientIn ausreichend wahrnehmen können, um sich ein Bild zu verschaffen: Wird es wohl gehen, wirklich miteinander in die Tiefe zu schauen und alle Teilbereiche der Persönlichkeit
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