Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
Dann nach und nach für die Täter Zugänge sperren: Wohnung sichern oder umziehen, Konto, E-Mail, Telefon etc. sichern oder (erneut) ändern; sich in eine Klinik, zu verlässlichen Freunden, in ein Schutzhaus begeben etc. Bis hin zu einer angemessenen Kontrolle des Kontaktes, und zwar in der Form, dass die KlientIn nach dem Kontakt keine Verschlimmerung von Symptomen mehr erlebt oder sie den Kontakt verlässlich beendet hat.
Verträge und Vereinbarungen werden von allem Anfang an in der Therapie zusammen ausgehandelt und stets aufs Neue angepasst an das, was sich gerade herausstellt (denn solch schwierige Themen werden oft am Anfang geleugnet oder können erst besprochen werden, wenn mehr Vertrauen da ist). Auch wenn die KlientIn eine Sucht oder eine gesundheitsgefährdende Essstörung hat oder sich selbst massiv verletzt, gilt es, Vereinbarungen zu treffen, mit der beide Seiten leben können. Das bedeutet oft für die TherapeutIn, dass sie „hart an der äußersten Kante surfen muss“, was die Toleranz von schwierigen Verhältnissen und Verhaltensweisen der KlientIn betrifft. Kann man noch psychotherapeutisch arbeiten, wenn der Bodymaß-Index der Klientin unter 15, 14 oder gar 13 gesunken ist? Oder umgekehrt: Wenn sie eine Adipositas per magna hat, Bluthochdruck, Diabetes – und mit der Insulinspritze mal unter- mal überdosiert oder ihren Diätplan in den Müll wirft? Wenn sie alkoholisiert in der Therapiestunde erscheint? Fast alle KollegInnen würden diese Fragen verneinen. Ich nicht. Sondern ich würde sagen: Kommt darauf an, ob in der Therapie bislang die Richtung stimmt. Stimmt sie und stimmt die Motivation der KlientIn – dann weitermachen, aber die körperliche Situation der KlientIn von ärztlichen KollegInnen immer wieder überprüfen lassen.
Meine Erfahrung ist: Bei komplex traumatisierten KlientInnen müssen immer wieder Konferenzen unter KollegInnen – Intervision, Supervision, internistisches Konsil – sowie intensive Gespräche mit der KlientIn klären, ob weitergearbeitet werden kann oder nicht. Viele Kliniken haben starre Vorschriften – und machen es sich da oft zu leicht, finde ich. Viel besser sind individualisierte Pläne . Denn für die eine KlientIn kann es endlich weitergehen, wenn sie nur nicht weiter zunehmen muss, sondern ihr (Unter-)Gewicht eine Weile halten „darf“, bis in der Therapie ein weiterer genügender innerer Kompromiss gefunden werden konnte, damit sie wieder ein Pfund zunehmen darf. Oder wenn mit der Insulinspritze „unverantwortlich hantiert“ wird, kann es sein, dass man in der Therapie die Zustände identifizieren muss, in denen dies geschieht, und dafür sorgen muss, dass andere Möglichkeiten der Stressregulation gefunden werden können. Oder dass der innere „Jemand“ gefunden wird, der für dieses Verhalten verantwortlich ist, um mit ihm oder ihr so lange zu verhandeln, bis er / sie einverstanden ist, dass regelmäßiger und angemessener Insulin gespritzt werden „darf“.
Einen „Raum des Nachdenkens“ errichten. Bei hoch emotionalen und hoch dissoziativen Menschen ist es nicht gut, gleich „in die Vollen“ zu gehen, was Gefühle angeht. Sondern es ist viel besser, zunächst so etwas zu sagen wie: „Wir wollen hier immer wieder zusammen nachdenken. Dazu ist es gut, wenn Sie alles in sich, das sehr starke Gefühle hat, ein wenig schützen.“ Ich gebe das Bild einer Röntgenschürze als Beispiel: Sie wird umgelegt, um beim Durchleuchten zarte Teile der Persönlichkeit zu schützen. Ich bitte daher alle KlientInnen, die sich schwierigen Themen nähern wollen, sich erst einmal alle inneren Anteile, die starke Gefühle haben, hinter einem Schutzwall oder etwas Ähnlichem vorzustellen. Andererseits, so sage ich: „Alles, was in Ihnen denken und nachdenken kann, ist hier in der nächsten halben Stunde besonders willkommen – egal von welcher Seite.“ Die Konzentration darauf, die hoch emotionalen Bereiche aus einem Diskurs über schwierige Themen zunächst einmal herauszuhalten, hilft sehr. Erst nach und nach werden dann die emotionaleren Anteile auch gehört und in die inneren Verhandlungen einbezogen. Weiterhin hilft, immer wieder innere Beobachterinstanzen und so etwas wie die „innere Weisheit“ zu befragen.
Schutz für alles, was zart ist. Imaginationsübungen helfen. Und oft ist auch das aus der „ganz anderen“, der vielleicht als „dunkel“ erlebten „Ecke“ zart. Braucht Schutz. Ist besonders. Sehr viele Menschen mit vielen
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