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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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eingeschärft hatte, stets die Gleichgewichtsprobleme des Gegners auszunutzen. Der Angreifer war groß, aber nicht sehr stark, merkte Toftlund, als er die gestreckte Hand, die das Messer führte, ergriff und sie hinunterzog, dann einmal herum- und hochdrehte und schließlich nach vorne riß, bis er spürte, daß das Handgelenk kurz davor war zu brechen. Er zog den Angreifer an sich vorbei wie einen Stier in einer spanischen Arena, immer heftiger und ließ dann los, als die Geschwindigkeit hoch genug war und der Typ die Gasse hinuntersauste und mit einem Schrei und einem lauten Platschen im Kanal landete. Toftlund beförderte das Messer mit einem Tritt in die Ecke.
    Er warf einen Blick auf den ersten Angreifer, der mit blutüberströmtem Gesicht leise vor sich hin wimmerte. Toftlund ging zu Aischa und zog sie sanft zu sich hoch. Sie weinte, ihr Gesicht war verschmiert und naß von Tränen. Er wischte es mit der Hand ab. Zärtlich, als streichelte er ein kleines Kind. Sie schlang ihre Arme um ihn, und er spürte ihre nackte Brust an seiner Jacke. Er strich ihr übers Haar. Sie stand kurz davor, in Panik auszubrechen.
    »Wir müssen weg, Aischa. Wir müssen weg.«
    Er hörte planschende Geräusche aus dem Kanal und begann, ihr nasses Gesicht zu küssen. Erst die Stirn, dann die Wangen, dann die Augen, dann wieder Stirn und Wangen und Augen und schließlich den Mund, und er merkte, wie sie sich ganz allmählich entspannte. Er lauschte dem Planschen und spürte ihre Zunge und sein hämmerndes Herz und das Blut, das ihm unter der zerstochenen Jacke den Arm hinunterrann.
    »Wir müssen weg, Aischa«, sagte er wieder, als sie von seinem Mund abließ. Er zog ihr Hemd und ihren Mantel zu und faßte sie um die Schultern, damit sie die Sachen an ihrem zitternden Körper festhalten konnte.
    »Komm! Let’s go! «
    Er zog sie sanft, aber energisch mit sich, und sie machten einen Bogen um den ersten Kerl herum, der auf die Knie gekommen war und auf die schmutziggrauen Steine kotzte. Sie liefen über die Brücke und blickten noch einmal zu dem Kerl hinunter, der sich hochzuziehen versuchte, mit seinem angebrochenen Handgelenk allerdings einige Schwierigkeiten hatte, an den schlierigen Steinen Halt zu finden. Sie gingen um zahllose Ecken und über Brücken, es war ein einziges dunkles Labyrinth, bis sie plötzlich auf einen breiteren Kanal stießen, der sogar beleuchtet war, und auf ein Schild, das sie mit der Aufschrift Taxi beglückte.
     
    *
    Toftlund wachte vom Klingeln des Telefons auf. Er hatte tief geschlafen und einen kurzen Augenblick lang gedacht, neben Lise zu liegen, aber es war Aischas glatter Körper, der eng an ihn geschmiegt im großen Bett eines Hotels in Venedig an seiner Seite lag. Er hatte keinen Schimmer, wie spät es war. Das Zimmer war dunkel. Die schweren roten Gardinen waren vorgezogen. Von draußen hörte er schwache Geräusche, als wäre die Stadt dabei zu erwachen. Die Wunde am Arm brannte. Er hatte ein Pflaster drauf geklebt. Glücklicherweise war es nur ein Kratzer. Wahrscheinlich würde er eine kleine Narbe zurückbehalten, aber das war ohne Bedeutung. Besser eine Narbe als lange Erklärungen in der Notaufnahme. Wieder klingelte das Telefon, und Aischa drehte sich um und legte ihr Bein über seines, und er dachte an die Liebe, der sie sich in der Nacht gewidmet hatten – oder war es Sex? Es war wirklich sein erster Beischlaf gewesen, der stumm abgelaufen war, und bei dem er nicht wußte, ob er von Zuneigung oder Haß getrieben worden war. Sie hatten Aischas Zimmer betreten und sich wortlos abgeküßt und gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen. Hinterher hatte sie wieder angefangen zu weinen und war nackt ins Bad gegangen. Er konnte das Wasser laufen hören. Dann war er selber aufgestanden, auf ihrem Bettlaken waren Blutflecken von seiner Wunde am Arm zu sehen, und war in sein eigenes Bad gegangen und hatte lange unter der Dusche gestanden; die Tür zwischen ihren Zimmern hatte er offenstehen lassen. Die Wunde hatte fast aufgehört zu bluten. Er brauchte drei Pflaster aus seiner Toilettentasche, um den langen Schnitt abzudecken. Er konnte nur hoffen, daß das Messer nicht infiziert gewesen war. Zur Sicherheit schüttete er ordentlich Jod drauf. Als er aus dem Bad kam, war die Zwischentür geschlossen, aber im Licht der Badezimmerlampe sah er Aischas Körper unter seiner Bettdecke liegen. Diesmal war es entschieden besser gewesen, langsamer und ohne Tränen und Machtkämpfe. Sie waren eingeschlafen

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