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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Ibrahim?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Aber ich. Ich kann mich ja in Langley oder in London umhören. Garantiert gibt’s dort Unterlagen über dich, Ibrahim.«
    Toftlund lehnte sich zurück, beugte sich rasch wieder vor und schockierte Ibrahim und Aischa, indem er die dünnen Arme des Alten ergriff und fest zudrückte und ihm dabei ins Gesicht brüllte: »Wer, verflucht noch mal, ist dieser beschissene Thronfolger, und wo finde ich ihn?!«
    Toftlund war beeindruckt, daß Ibrahim die Fassung bewahrte, während Aischa aus der Rolle der demütigen Frau fiel und mehrmals Pers Namen rief und seinen Arm ergriff, um ihn von Ibrahim loszureißen. Aber sie spürte nur seine angespannten Muskeln und gab auf.
    »Wer ist er, Ibrahim? Wo steckt er?«
    Er bemerkte Aischas Hände erst, als sie von seinem Arm abließen.
    »Lassen Sie mich los, Herr Toftlund. Das ist ein unwürdiges Schauspiel für alle Seiten.«
    »Wer?«
    »Lassen Sie mich los. Sie tun mir weh.«
    Toftlund ließ los. Ibrahim massierte seine Arme und sah Toftlund lange an, es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe er mit seiner trockenen Stimme, die ein klein wenig zitterte, antwortete: »Den Thronfolger haben Sie an Ihrer eigenen Brust genährt. Er ist das Produkt einer kranken Welt, und zufällig war die kranke Welt, die er erlebte, Ihr Dänemark. Der Thronfolger ist Ihr Feind, Toftlund. Und mein Feind, auch wenn Sie das nicht verstehen. Denn wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich mein eigenes Gesicht. Aber wenn Sie, Per Toftlund, in den Spiegel schauen, sehen Sie Ihren Feind. Und jetzt seien Sie so freundlich und verlassen Sie mein Haus. Es ist spät geworden. Ich bin ein alter Mann, mein Herz ist nicht mehr das, was es einmal war, und ich bin müde.«

20
    Als sie das Haus verließen, stürmte Aischa mit verschränkten Armen an Per vorbei aus der Tür. Draußen war es dunkel, der Platz im Ghetto war menschenleer, und es lag Regen in der Luft.
    »Verdammt noch mal, was fällt dir eigentlich ein, Toftlund?« rief sie heftig und drehte sich zu ihm um. Tränen standen ihr in den Augen, und ihr Körper war so angespannt, als bereitete sie sich auf eine Schlägerei vor.
    »Er spricht mit zwei Zungen.«
    »Ibrahim ist ein anständiger alter Mann, und du warst nur grob, unhöflich und brutal zu ihm.«
    »Ich tue meine Arbeit. Das solltest du im übrigen auch. Das hier ist kein Spaß, Aischa. Es ist blutiger Ernst.«
    »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist.«
    »Wir befinden uns in einem Krieg, Menschenskind. Kann sein, daß die Fronten fehlen, aber es ist trotzdem ein Krieg.«
    »Ich versteh dich nicht.«
    »Wenn du damit nicht zu Rande kommst – die Rückkehr ins Lebensmittelministerium steht dir jederzeit offen.«
    »Was bist du manchmal ungehobelt, Per, und das schlimmste ist, du merkst es nicht mal. Du kannst großartig sein, und gleichzeitig kannst du einen vor den Kopf stoßen, eiskalt. Ich werde nicht schlau aus dir.«
    Sie schien wütend zu sein, aber in ihren Augen und ihrem Gesicht lag noch etwas anderes. Toftlund machte einen Schritt auf sie zu, aber sie drehte sich um und ging mit schnellen Schritten quer über den Platz.
    »Aischa, hör doch mal zu«, sagte er.
    »Du findest den Weg zum Hotel schon alleine!«
    Sie fing an, noch schneller zu gehen. Das Tuch glitt ihr vom Kopf auf die Schultern. Trotz ihrer halbhohen Absätze hatte sie ein ziemliches Tempo und eilte über eine kleine Brücke und huschte um eine Ecke, ehe er überhaupt in Gang kam. Als er das Brückchen erreichte, bog Aischa schon wieder um eine Ecke, dann wieselte sie eine Treppe hinunter und über eine weitere Brücke, aber als er dort endlich angekommen war, schien sie wie vom Erdboden verschluckt. Kleine Regentropfen zeichneten in großen Abständen Ringe in das dreckige, giftgrüne Wasser des Kanals. Die Stadt war finster und leer und unheimlich still im Vergleich zum Nachmittag, als sich die Menschenmassen durch die Stadt geschoben hatten. Er nahm eine beliebige Brücke, bog um die Ecke – und stand in einer Sackgasse. Ein fetter Engel mit Schmollmund stierte ihn an. Graues Wasser tropfte von seinen Lippen. Wieder zurück, eine andere Ecke, noch eine Treppe, eine kleine Brücke über einen schmalen Kanal, wieder um eine Ecke, durch ein winziges Gäßchen, das auf eine breitere Straße führte und dann wieder eine dieser vermaledeiten Brücken zwischen zwei Häusern, die sich mit ihren abblätternden Fassaden über ihn beugten, als wollten sie ihn im nächsten Moment unter sich

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