Der Feind im Spiegel
gegen Toftlund gerichtet war, das spürte er, obwohl sie die Worte, die hier gewechselt wurden, sicher nicht verstand.
»Deshalb ist der Weg so schwer, Herr Toftlund. Glauben Sie an Gott?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich. Ich bin getauft und konfirmiert, aber ich grüble nicht jeden Tag darüber nach.«
»Aber ich. Allah – oder Gott – ist immer ein Teil meines Gesprächs mit mir selbst und mit anderen. Er ist in diesem Raum, so wie er in der Moschee ist. Er ist so lebendig für mich, wie Sie es sind. Seine Worte wurden dem Propheten übermittelt, gepriesen sei Sein Name. Und wir Menschen sollten nach den weisen Worten des Propheten leben, auch wenn das schwer ist für einen Menschen.«
»Versteh ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil es Aberglaube ist, der aus alten Büchern stammt. Gott hat mit den Menschen nichts zu tun. Die Menschen gründen Gesellschaften und zerstören sie. Alles andere ist altmodisches Gewäsch.«
»Deshalb ist der Weg lang und der Dialog so schwierig. Der Dialog unter uns Muslime ebenso wie der zwischen Muslime und Christen oder Ungläubigen.«
»Das ist für euch ja wohl das gleiche.«
»Nein. Christen und Juden werden von uns nicht als Ungläubige angesehen, sondern als Menschen der Heiligen Schrift. Wir glauben an denselben Gott.«
»Osama nennt uns Ungläubige.«
»Er nennt Ihre Gesellschaft eine ungläubige Gesellschaft.«
»Ich sehe den Unterschied nicht.«
»Deshalb ist der Weg so lang.«
Das Gespräch war ins Stocken geraten. Toftlund sah Aischa an, dann seine Hände, dann wieder Aischa, aber sie sah den alten Mann an, der diesmal mit einem triumphierenden Blick zurückschaute. Als ob er einen Machtkampf gewonnen hätte. Dabei war sich Toftlund gar nicht bewußt gewesen, einen solchen Kampf geführt zu haben, und mit einemmal ging ihm auf, daß Ibrahim wahrscheinlich nie bereit gewesen war, ihm irgend etwas zu erzählen, sondern dem Treffen nur zugestimmt hatte, weil er es Aischa schuldig zu sein meinte. Oder aber, weil er sich Per einfach mal aus der Nähe anschauen wollte, denn ein alter Spion ließ sich eine solche Gelegenheit nur ungern entgehen. Toftlund spürte seine Wut zurückkehren und um sich besser unter Kontrolle zu haben, wechselte er jetzt ins Englische über.
»Es reicht mir jetzt mit diesen theologischen Diskussionen. Wie wär’s, wenn wir mal aufs Wesentliche zu sprechen kämen, statt unsere Zeit zu vergeuden, Ibrahim?«
»Selbst für einen jungen Mann sind Sie ziemlich ungehobelt«, lautete die Antwort, die ihm in einem mühelosen Englisch mit unüberhörbar britischem Akzent gegeben wurde.
»Wer ist der Mann, der sich der Thronfolger nennt?« fragte Toftlund. Aischa richtete sich in ihrem Sessel auf. Endlich konnte sie der Unterhaltung folgen.
»Ich weiß nicht, von wem Sie reden.«
»Von Osamas Mann in Europa.«
»Sie sprechen zu viel mit den Briten und Amerikanern.«
»Ah ja? Sie dagegen sprechen wahrscheinlich auch noch mit anderen. Ich glaube kaum, daß es Allah oder der Koran gewesen ist, der Sie während des Krieges in der Wüste finanziert und Ihre Rechnungen im Libanon bezahlt hat. Oder sie heute noch bezahlt.«
»Sehr unhöflich. Sogar für einen jungen Mann.«
Toftlund konnte den Unmut, aber auch eine beginnende Verwirrung auf Ibrahims Gesicht ablesen und fuhr fort: »Sie sind vom Deuxième Bureau gekauft und bezahlt worden. Vom französischen Nachrichtendienst …«
»Jetzt werden Sie kindisch.«
»Sie brauchen es nicht zuzugeben. Einmal Agent, immer Agent. Die gehen nie in Rente. Es gibt immer eine unbezahlte Rechnung, die darauf wartet, beglichen zu werden, und Sie wurden in die Reihen der Aktiven zurückberufen, weil Sie zumindest eine Ahnung haben, wer der Thronfolger sein könnte, aber Ihre französischen Arbeitgeber haben Ihnen deutlich gemacht, daß Sie Ihr Wissen nicht mit den Verbündeten zu teilen haben. Zumindest nicht hier und heute.«
»Ich glaube, wir sollten unsere Unterhaltung hier beenden, Herr Toftlund. Ihre Spekulationen und Theorien entbehren jeder Grundlage.«
»Das finde ich nicht, Ibrahim. Warum soll Ihr Wissen denn nicht weitergegeben werden?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Vielleicht weil Frankreich gar kein Interesse daran hat, irgend etwas zu teilen und weiterzugeben, weil Frankreich nicht möchte, daß seine Interessen – beispielsweise im Irak – untergraben werden, falls Onkel Sam sich entschließen sollte, Saddam zu entfernen. Hängt es vielleicht so zusammen,
Weitere Kostenlose Bücher